Solidarität mit den Aufständigen im Iran! Nieder mit der „Islamischen Republik“

Am 1.2 um 14.00 wird es in Münster eine Kundgebung in Solidarität mit den Protesten im Iran geben. Wir rufen dazu auf, hinzugehen und Solidarität zu zeigen!

foto: via Odak e.V.

Hier wollen wir einige Ausführungenzur Einordnung der Proteste und der Verhältnisse im Iran anbieten. 

1. Eine Flugschrift zu den Protesten fasst die Entwicklungen der letzten Wochen zusammen: „Während die Auswärtigen Ämter der Deutschen und Briten die „Islamische Republik“ für ihre Ehrlichkeit loben, die „versehentliche“ Tötung von 176 Flugpassagieren eingestanden zu haben, trafen sich zunächst Studierende der Amirkabir Universität in Teheran, um den Getöteten zu gedenken. Aus dem Gedenken wurde ein Protest, der sich noch am selben Abend über weitere Teile Teherans sowie auf andere Städte ausgeweitet hat. Die „Armee der Wächter der Islamischen Revolution“ (kurzum: die Sepah) wird als zentrales Staatsracket ausgemacht: „Wir wollen kein Regime der Sepah!“ und „Soleimani ist ein Mörder und sein Führer (Ali Khamenei) auch!“ Entgegen dem Gerücht, Qasem Soleimani habe den Iran vor dem „Islamischen Staat“ bewahrt, wird die „Islamische Republik“ selbst als Komplementär zum (Pseudo-)Kalifat erkannt: „Basij, Sepah, ihr seid unsere Variante von Daesh!“ (Die Basij sind das als Zivilmiliz organisierte Brüllvieh der Revolutionswächter und „Daesh“ das arabische Akronym vom „Islamischen Staat“). Die omnipräsenten Staatsbanner mit dem Antlitz des getöteten Generals werden unter dem Jubel der Umstehenden heruntergerissen oder verbrannt. Explizit wird ein Ende der Shia-Variante des „Islamischen Staates“ – so eine berüchtigte Schrift vom Staatsgründer Ruhollah Khomeini, die aus seinen Vorlesungen im irakischen Exil besteht – gefordert: „Islamische Republik – wir wollen keine, wir wollen keine!“, „Kanonen – Panzer – Feuercracker, das Regime der Akhunda (Mullahs) wird (dennoch) enden!“ und „Jahre an Verbrechen – Tod dem Velayat-e Faqih!“. Mit „Velayat-e Faqih“ beschrieb Khomeini das System der „Islamischen Republik“, in der die Kleriker als Statthalter des in Verborgenheit ausharrenden okkulten zwölften Imams fungieren[…] Inzwischen haben die Proteste weitere Städte erfasst: neben Teheran wird unter denselben Rufen auch in Mashhad, Isfahan, Shiraz, Tabriz, Ahvaz, Kermanshah, Rasht, Hamadan, Yazd, Arak, Zanjan, Sanandaj, Qazvin, Gorgan, Sari, Babol, Amol und Semnan protestiert. Ein weiterer Slogan ruft in Erinnerung, was im khomeinistischen Iran allen droht, die die Lüge von der Einheit entblößen: „1.500 Menschen wurden während unserer Novemberproteste getötet!“. Interessant auch der Slogan „Weder Shah noch Führer, wir wollen nicht schlecht oder schlechter!“, der sich gegen eine Vereinnahmung der Proteste durch Exilroyalisten ausspricht.“ (http://cosmoproletarian-solidarity.blogspot.com/2020/01/flugschrift-zu-den-protesten-im-iran.html?m=1)

2) Tatsächlich kann man erst dann diese Slogans verstehen und über die Geschehnisse im Iran sinnvoll reden, wenn man sich einen Begriff der sogenannten „islamischen Republik“ macht. Die sogenannte „Islamische Republick“ ist mit Bezug auf Horkheimers Racket-Theorie und Franz Neumanns Begriff dess „Unstaats“ und „Behemoths“ zu verstehen (Vgl. G. Scheit, Der neue Vernichtungswahn und seine internationalen Voraussetzungen). Im Iran lässt sich ein permanenter konkurrenzkampf zwischen Rackets und Banden erkennen, in dem der Geistliche Führer als Vermittler fungiert. Allerlei Parallelinstitution artikulieren die Rackets. Unter diesen stechen die Revolutionswächter („Pasdaran“) hervor, die militärische Eliteeinheit, die das Atomprogramm kontrolliert aber auch wine wichtige Rolle in der Wirtschaft spielen und ganze Zweige kontrollieren und insbesondere den Außenhandel beeinflussen. Daraus gewinnen ihre Mitglieder persönliche Vorteile. Die iranische Verfassung ist dabei nicht mit dem Recht eines bürgerlichen (Rechts)staates zu vergleichen: »Das ganze komplizierte Verfassungsgebäude soll bloß Räume bereitstellen, worin diese Rackets, die per definitionem den Ausnahmezustand bevorzugen, ihre disparaten Aktivitäten koordinieren können.« Auch sdie Wirtschaft ist – in einer frappierenden Parallele zum NS-Unstaat – in einem kapitalistsich und antikapitalistisch: »Seine Stellung zum Privateigentum an Produktionsmitteln ist insofern verändert, als es dieses Privateigentum in Gestalt industrialisierter Produktionsverhältnisse nur in geringem Maß gibt. Das allgemeine Gesetz und der Vertrag sind auch hier verschwunden, an deren Stelle willkürliche Maßnahmen der Rackets getreten.« Diese Zersplitterung nach innen und das Fehlen des abstrakten Allgemeinen des Rechtes und des Warentausches wird in eine höhere Einheit integriert durch das Führerprinzip, den imperialenplan einer regionalen Herrschaft, die beschwörung einer transzendenten Gemeinschaft, den programmatisch eliminatorischen Antisemitismus. Dies wirkt sich auch auf die Individuen aus: Der Willkür der Rackets ausgesetzt, wird ihnen im religiös-nationalistsichen Projekt halt angeboten und Projektionen nach Außen geschürt: Was auch immer passiert, ist es schuld der großen Widersacher: der kleine Satan (Israel) und der große (die USA). Diese Projektionen können im Vernichtungswunsch enden, für den auch die Selbstaufopferung vorgesehen wirs, gemäß der islamistsichen Märtyrerideologie. Auch im Wunsch nach Vernichtung des Judenstaates »trifft sich die islamistische Gemeinschaft dann doch auch im Hinblick auf das Kapitalverhältnis mit der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft. […] Das Individuum muss jederzeit bereit sein, den von ihm dargebotenen Gebrauchswert, die Arbeitskraft, auszulöschen – als Opfer, das für Nation und umma zu bringen ist im Kampf mit jenem Gegen-Volk.« (Vgl. S. Grigat, Ein kategorischer Imperativ. Das iranische Regime und das Versagen vieler Linker, https://www.iz3w.org/zeitschrift/ausgaben/334_antiziganismus/Stephan%20Grigat?fbclid=IwAR15wiMlPasQSYOVytKb8SZqpQvsu3nqFFR_3uNNNG6h3ip6gVJCWYzrckI)

3) Vor diesem Hintergrund lassen sich auch die Entwicklungen der letzten Monaten einordnen. Die in der Konkurrenz unter Banden zerfallende Gesellschaft muss gewalttätig zusammengehalten werden: eben durch eine (hier religiöse) Ideologie, die eine höhere, substantielle, Gemeinschaft beschwört; durch Auszahlungen und Konzessionen an den Rackets; durch ein imperiales Projekt. Ein solches Herrschaftsprojekt ist dabei Kostenspielig und gelingt nur, wenn man sich erfolgreich externe Ressourcen aneignen kann. Ohne diese Geldquellen zerfällt die in Wahrheit prekäre Integration der Gesellschaft weitgehend und das Projekt einer regionalen Einflussnahme kommt selbst ins schwanken. Osten Sacken fasst zusammen: „Was der Iran jetzt dringend bräuchte, wäre Geld. Viel Geld. Da wäre so viel zu bezahlen: Gehälter von Hizbollah und anderen Milizionären, der bankrotte Assad Clan, die Houthis im Jemen, Hamas und Islamischen Jihad und auch zu Hause liegt alles darnieder. Statt zu zahlen, müssen Benzinpreise erhöht werden, was zu Massenprotesten führt. Ohne Geld geht nix im iranischen Imperium und Geld fehlt. Imperien sind teuer, das merken sie jetzt ganz schmerzhaft und haben keinen aber auch gar keinen Plan B.“ (https://www.facebook.com/thomas.ostensacken/posts/10215112962689413 ). Während die Regierung verschwörungstheoretisch und antisemitisch wieder „fremde Mächte“ (also USA und Israel) für die schlechte wirtschaftliche Lage verantwortlich macht (https://www.jpost.com/Middle-East/Iran-tells-clerics-and-allies-to-claim-US-behind-Iraq-Lebanon-protests-606568?fbclid=IwAR3x4YSe9iyluZ8lEljv51Q33osO9hcjVee9e-IhZ-284mXu0JXn4bEL2_M ), richteten schon die Proteste im November klar gegen das islamistische Regime und seine Politik. Sie beklagten eben die Geldverschwendung zur unterstützung islamistischer Gruppen in Palästina, zur Finanzierung Assads und der Hisbollah (https://www.mena-watch.com/demonstranten-machen-irans-aussenpolitik-fuer-die-misere-verantwortlich/ ) sowie die Korrupte Bandenherrschaft. Dass in den jüngeren Protesten sich Iraner*innen weigerten, die Schuld Israel und den USA zu geben bedeutet vor allem, dass die Konstruktion des Unstaat der Ayatollahs und ihr Versuch, die iranische Bevölkerung in ihrem Projekt zu subsumieren, nicht gelungen ist und stärker ins Schwanken kommt. 

„Es ist nun an der Zeit, dass die westliche Linke, die oft zögert, Volksaufstände unter dem Deckmantel des “Pseudo-Antiimperialismus” zu unterstützen, ihre Seite wählt. Der Volksaufstand vom November 2019 zielt auch auf das bestehende politische System in seiner Gesamtheit ab und läutet einen wahrscheinlichen Klassenkrieg ein. Der Aufstand sendet eine klare Botschaft der Unterstützung für die Menschen, die in der ganzen Welt kämpfen. Es ist an der Zeit, die Erfahrungen all dieser anhaltenden Kämpfe auszutauschen, um effektive Verbindungen zwischen ihnen zu schaffen. Dieser Kampf hat keine Grenzen. Die Repression beendet nicht den Kampf, Widerstand ist Leben! “Sarkoub pâyân-e râh nist, moqâvemat“ (S. Lotzer, Die soziale Revolte im Iran)

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