Die Frage, welche Stadt wir wollen, ist immer auch die Frage, welche Gesellschaft wir wollen – und umgekehrt.

Vor knapp vier Wochen fuhr NRWs Innenminister Herbert Reul auf Einladung von Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe in der Stadt mit seiner Limousine vor. Gemeinsam mit CDU-Chef Hendrik Grau, dem ehemaligen Polizeichef Rainer Furth und einigen Personenschützern spazierte dieser weiße Männerbund durch unser Bahnhofsviertel, um sich ein Bild von – wie es die Polizei so schön nennt – Münsters „Kriminalschwerpunkt“ zu machen.

Dabei bezeichnete die edle Truppe den Hamburger Tunnel am Hauptbahnhof als das „Urinal der Stadt“. In einem Bericht des Stiefelleckerblattes WN heißt es: „Am Hamburger Tunnel, dort, wo die Schattenseiten dieser Stadt wie im Brennglas zu besichtigen sind.“ Mit dieser Art der Berichterstattung macht die WN gezielt Stimmung gegen marginalisierte Personengruppen und erweist sich als Steigbügelhalterin neoliberaler Stadtpolitik.

Der amüsierte Spaziergang zieht weiter zum Bremer Platz, wo die Menschen, die dort ihre Tage verbringen, wie Tiere im Zoo bestaunt werden. Hier ergibt sich nun auch die Möglichkeit, auf den Drogenhilfeverein „INDRO“ zu schießen – weil dieser nicht auf Repression drogenkranker Menschen setze, sondern schlicht sicheren Drogenkonsum ermögliche. Denn die widerliche CDU-Bande will nur das eine: Repression, um die von ihnen unbeliebten Menschen auf der Bremer Platte zu verdrängen – und die Inwertsetzung des Raumes voranzutreiben. Warum also nicht alles dort platt machen und einen großen Biergarten eröffnen, wie es die CDU vor ein paar Jahren forderte? Indro fasste diesen grotesken Plan damals passend zusammen: Warum solle das „legale Zellgift Alkohol am Bremer Platz die illegalisierten Drogen ersetzen“?

Die Antwort ist klar: Dezentralisierung der Szene, weitere Kriminalisierung von Drogenkonsum und eine Aufwertung des Immobilienmarktes. Dafür soll das Viertel schicker werden und das Elend, das diese Gesellschaft produziert, ferngehalten werden. Oder um es mal zu sagen wie es ist: Die CDU macht nicht Politik „für alle“, sondern nimmt billigend in Kauf, Menschen verrecken zu lassen, so lange sie nicht in ihr poliertes Stadtbild passen.

Es ist auch kein Zufall, dass die CDU mit dem ehemaligen Polizeipräsidenten Fürth im Viertel spazieren geht. Dieser hatte letztes Jahr die heißersehnte Verdrängung der „Szene“ mit seiner Polizei vorbereitet. Um Stimmung zu machen, bekamen Stadteilbewohner*innen einen Fragebogen zu „Sicherheit und Ordnung“ im Viertel, dessen Durchschnittsfrage ungefähr so lautete: „Ist es im Bahnhofsviertel dreckig und gefährlich oder gefährlich und dreckig?“. Es folgten wie nach Spielplan Razzien. Mal traf es die Menschen am Bremer Platz, mal traf es Geschäfte auf der anderen Seite des Bahnhofs: Reuls rassistisches Lieblingsthema „Clankriminalität“ lässt grüßen.

Ach ja: Und das Viertel soll weißer werden. So finden am Bahnhof immer wieder Fälle von Racial Profiling statt. Aber auch die eine oder andere Abschiebung im Schnellverfahren soll es gegeben haben: Da kann es schon mal passieren, dass ein Mensch plötzlich aus seinem alltäglichen Leben gerissen und alleine von ein paar Cops in einen Zug gezerrt wird, der ihn in den europäischen Drittstaat bringt, der für sein Asylverfahren zuständig sei. Kurz: Die CDU fährt bewusst und offen eine Politik der Verdrängung und des Ausschlusses durch Kriminalisierung und Repression. 

Mit gleicher Offenheit torpediert sie, soweit es geht, jeden Ansatz von Partizipation und anderweitiger Mitbestimmung in der Stadt. Den Anträgen im Sinne von Seebrücke, Münster zum „Sicheren Hafen“ zu machen, wurden nur mit sehr viel Mühe im dritten Anlauf zugestimmt. Dem Vorschlag von Fridays for Future, bis 2030 Münster klimaneutral zu machen, widersetzte sich die CDU vehement. 

Die Stadt, die die CDU im Sinne hat, ist eine Stadt der Interessen von Bauunternehmen und Investor*innen und eventuell der Privilegien der kleinen Besitzer*innen im Umland. An der CDU manifestiert sich die Stadt des Kapitals. Das Kapital, als Subjekt dieser Gesellschaft, eignet sich gewalttätig das Leben der Menschen, ihre Beziehungen und Räume an. Dadurch finden Entfremdung, Vereinzelung und Ausschluss statt. Die Stadt des Kapitals untergräbt die Autonomie von Individuen und sperrt sie in Zwangskollektive. 

Damit es klar ist: Es macht am Ende des Tages wenig Unterschied, wer nun die Portagonist*innenrolle in dieser Politik spielt und wer nun das kapitalistisch vorbestimmte Elend verwaltet. Die Rahmenbedingungen sind gesetzt, die Politik soll sie erhalten und reproduzieren – und kann auch nicht wirklich anders. Doch es gibt schon eine Skala der Schweinerei: Hier in Münster steht die CDU ziemlich schamlos und selbstbewusst an der obersten Spitze des Scheißhaufens menschenverachtender Stadtplanung und kapitalistischer Verdrängung.

Kein Wunder also, dass die AfD ganz offen dafür wirbt, Markus Lewe zu wählen und die CDU die Stimmen vom faschistischen Rand scheinbar gerne entgegennimmt – denn verhalten haben sie sich zum Aufruf der AfD natürlich nicht. 

Angesichts all dessen gilt es vor allem sich zu widersetzen! Die Stadt kann auch der Raum des Kampfes und des Widerstandes werden. Dabei müssen wir lernen, wie sich unsere Kämpfe, unsere Anliegen und unsere unterschiedlichen Zugänge ergänzen. Wir müssen solidarisch sein – nicht nur mit all denen, die heute hier mit uns auf die Straße gehen – sondern ganz besonders mit denen, die unsichtbar gemacht werden und auch für viele von uns unsichtbar sind! Solidarität darf nicht zur Floskel verkommen: ein solidarisches Miteinander heißt auch, im alltäglichen Leben Menschen wahrzunehmen, anzuerkennen und wertzuschätzen. 

Doch kann unser Einsatz nicht damit enden, auf eine Notsituation aufmerksam zu machen und eventuell dafür ein paar Korrekturmaßnahmen einzufordern. Auch geht es nicht darum, ein gelecktes Traumviertel aufzubauen und in Kiezromantik aufzugehen. Die Frage, welche Stadt wir wollen, ist immer auch die Frage, welche Gesellschaft wir wollen – und umgekehrt. Auch in der Stadt heißt es: Wir müssen kollektiv das einfordern, was wir kollektiv produzieren!

Abschließend ein letzter Auszug aus Lewes Bahnhofsspaziergang: Im Bericht der WN heißt es: „Wenn erst einmal das Gebäude an der Bahnhof-Ostseite steht und der Hamburger Tunnel umgestaltet ist, dann werde sich die Situation anders darstellen […]. Wird also der Bremer Platz in fünf Jahren ein ganz anderer sein? „Dafür“, sagt Lewe und lacht, „brauchen wir keine fünf Jahre.“ 

Darauf kann unsere Antwort nur lauten: Lewe, dir wird dein süffisantes Lachen noch vergehen! Wir brauchen keine fünf Jahre, um uns die Stadt zurückzuholen! Lasst uns laut und unbequem sein! Der Kampf beginnt heute!