Statement zum Gedenktag der Opfer der Shoah (2021)

Am 27.1.1945 wurde das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau von Soldaten der Roten Armee befreit.

Die Shoah kann nicht begriffen, nicht rationalisiert werden. Heute ist daher ein Tag des Schweigens und des Gedenkens. 

I. Auschwitz darf aber nicht als Betriebsunfall betrachtet werden. Auschwitz kam nicht aus dem Nichts und kann auch nicht einfach als die eklatanteste Zuspitzung der eigenen Gewalt dieser Verhältnisse verstanden werden. Auf der einen Seite steht Antisemitismus schon in Kontinuität zur Irrationalität kapitaler Vergesellschaftung, die in sich immer schon antisemitische Keime säht. Auf der anderen Seite stellte der Nationalsozialismus eine „negative Aufhebung“ bürgerlicher Gesellschaft auf ihrer eigenen Grundlage dar: Der Übergang in den offenen Wahn der im eliminatorischen Antisemitismus zusammengeschweißten „Volksgemeinschaft“, die die Synthese im Wert und Staat ersetze und die Krise abwenden soll. 

Diese im Normalbetrieb dieser Gesellschaft immanente Möglichkeit ist aber in Deutschland Wirklichkeit geworden – nicht ohne Grund. Deshalb heißt heute Auschwitz gedenken auch immer gegen die „Wiedergutwerdung“ der Deutschen zu halten und deutsche Ideologie zu denunzieren. Es heißt, mit allen Tendenzen brechen, die die Möglichkeit von Auschwitz nicht kategorisch ausschließen und mit dem Fortbestehen des Nationalsozialismus inmitten der Demokratie Frieden suchen.

II. Auschwitz unterbricht aber auch linke Ableitungen und Gewissheiten. Und soll es immer wieder tun. Keine der progressiven Bewegungen und Traditionen hat die Shoah verhindert – was geschah, wurde kaum wahrgenommen. „Das Proletariat“ brachte nicht die universale Emanzipation hervor, sondern formierte sich in Deutschland größtenteils zur antisemitischen Volksgemeinschaft, geeint in Pogrom und in der systematischen Vernichtung. 

Und trotzdem wird viel zu oft auch links weitergedacht als sei Auschwitz nicht gewesen oder eben nur die übliche Gewalt in besonders brutalem Ausmaß. Auch nach Auschwitz blieben Nationalsozialismus und Antisemitismus meistens unbegriffen. Nationalsozialismus wurde generisch unter Faschismus gefasst, Faschismus auf jede mehr oder weniger autoritäre politische Erscheinung ausgedehnt. „Nie wieder“ wurde schnell nur zu „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“. Die stets diesen Verhältnissen innewohnende Möglichkeit von Gestalten negativer Aufhebung im Wahn des substanziellen Kollektivs und seiner antisemitischen Raserei wurde nicht als eigene spezifische Gefahr wahrgenommen. Der nationalsozialistische Antisemitismus wurde damit auch zur zufälligen Begleiterscheinung erklärt und nicht als das, worauf der ausbrechende gesellschaftlichen Wahn immer wieder kehren kann, erkannt. Und wenn der Zusammenhang zwischen Antisemitismus und unversöhnten Verhältnissen doch erkannt wurde, wird oft die Bekämpfung von Antisemitismus auf die Abschaffung dieser Verhältnisse vertagt.

III. Dementsprechend wurden die Überlebenden und ihre Nachkommen alleine gelassen mit der Aufgabe, die nun die der ganzen Welt hätte sein sollen: Denken und Handeln so einzurichten, dass Auschwitz nicht wieder sei. Das taten sie auch, indem sie sich in der antisemitischen Welt einen Staat gaben, bleibender „Notausgang“ im Falle des Schlimmsten und Ausdruck der nicht gemordeten Sehnsucht nach Leben. Und doch immer wieder werden Juden und Jüdinnen für ihre Treue zum Leben und Wehrhaftigkeit dem Vorwurf ausgesetzt „mit sechs Millionen Ermordeter Meinungserpressung [zu] treiben“ (Jean Amèry).

 Dass Ausschwitz nicht theoretisch begriffen werden kann, bedeutet, dass das adäquate Verhältnis zu Auschwitz praktischer Natur ist: Erinnern und die Möglichkeit, dass Auschwitz sich wiederhole, praktisch verhindern. Genau das heißt, Adornos Einsicht ernst zu nehmen:

„Hitler hat den Menschen im Stande ihrer Unfreiheit einen neuen kategorischen Imperativ aufgezwungen: ihr Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts ähnliches geschehe.”

An diesem Tag Gedenken wir auch allen anderen Opfern des Nationalsozialismus: Sint*ezze und Romn*ja, Menschen mit Be_hinderung, Homosexuelle und queere Menschen, Kommunist*innen und andere politische Gegner*innen. 

#WeRemember #WeAct