Rede: Wir werden Lützerath nicht vergessen

Ich sitze am Freitag vor der Großdemo in Lützerath mit meiner Mama beim Kaffee. Meine Mama hat immer schon die Grünen gewählt. „Mama, ich fahre morgen nach Lützi“, sage ich zu ihr. Ihre erste Reaktion ist nicht etwa „Schmeiß bloß keine Steine!“ oder „Was? Du demonstrierst mit den Klimaterroristen?!“ sondern: „Pass bitte auf dich auf. Besonders vor der Polizei.“ Wie viel Recht sie damit haben sollte, hat sich Samstag gezeigt.  Schon bei der Ankunft in Keyenberg, von wo aus die angemeldete Demo starten sollte, waren die Cops bereits in voller Montur und mit heruntergeklappten Visieren unterwegs, die Hand schon am Gummiknüppel. Wie sehr sie Bock auf Gewalt und Eskalation hatten, wurde dann auf dem Acker vor Lützi klar. Bei der kleinsten Näherung an Polizeiketten kam literweise Pfefferspray zum Einsatz, bei jedem Mucks, der aus der Demonstration kam, wurden die Schlagstöcke gehoben, die Reiterstaffeln warteten nur darauf ihren Pferden die Sporen zu geben, während andere Polizisten auf bewusstlose Personen einschlagen, während diese von Demosanis behandelt wurden. An dieser Stelle ein Riesen Dankeschön an die Demosanis, ohne die der Tag für einzelne noch wesentlich schlimmer geendet wäre. 
Aber auch wenn die maßlose Gewalt der Polizei an Tagen wie Samstag schockiert, so müssen wir doch einem Argument der Konservativen recht geben. „Die machen doch nur ihren Job“. Ja, die Polizei macht nur ihren Job – und Samstag war es ihr Job die Konzerninteressen von RWE durchzusetzen und als sein Privater Schlägertrupp zu agieren. Erinnern wir an das neue Polizeigesetz NRW von 2018 und an die Verschärfung des Versammlungsgesetzes 2022 – dann muss uns klar sein: Gewaltexzesse, wie die von Samstag sind politisch gewollte administrativ vorbereitet und werden zunehmend rechtlich abgesichert. 
Wenn es geltendes Recht ist, mit tausenden Polizisten und roher Gewalt einem Konzern dabei zu helfen zu Gunsten seiner Profite die Klimakrise zu verschärfen. Dann sagen wir mit reinem gewissen – dieses Recht gilt es zu brechen! Wenn die politische Ordnung es zulässt, dass die – ohnehin schon nicht ausreichenden Klimaziele immer wieder zu Gunsten des Wirtschaftsstandort Deutschland gebrochen werden – dann greifen wir diese politische Ordnung an. Und wenn es legitim ist, dass Deutschland durch sein Wirtschaften seit Jahrzehnten Klimakatastrophen in den globalen Süden exportiert, während sie mit Frontex an ihrer Seite davor fliehende Menschen im Mittelmeer ertrinken lässt – dann stehen wir hinter jeder einzelnen Person, die Polizeiketten durchbricht, auf Tripods klettert oder die Polizei physisch an der Festnahme von Klimaaktivisti hindert! 
Wir haben die Schnauze voll! Voll von Scheinheiligen Grünen, die sich im Parlament auf den dreckigen Deal mit RWE einlassen und sich in Lützi als Teil der Bewegung inszenieren. Voll von knüppelnden Robotercops und wir haben die Schnauze voll, von den Kommentarspalten der bürgerlichen Mitte – die ihren Mund halten wenn ein Netzwerk bewaffneter Reichsbürger enttarnt wird – sich aber die Todesstrafe für Klimaaktivisti wünschen, weil sie in einer Sitzblockade sitzen! 
Und weil wir die Schnauze so gestrichen voll haben – werden wir weiter kämpfen, denn wir lassen uns nicht einschüchtern! Erst heute in haben Aktivist*innen in den frühen Morgenstunden einen Braunkohle Bagger in Inden und die Zufahrtsschienen zum Kohlekraftwerk in Neurath blockiert. Lützerath können Sie Wegbaggern, aber unseren Willen für eine bessere Welt zu kämpfen nehmen sie uns nicht! Wir machen weiter, wir kommen wieder, wir werden mehr und wir werden lauter! 
Hinter unserem Kampf zum erhalt von Lützerath steht  viel mehr als ein kleiner Ort: In Lützi verbinden sich unsere Kämpfe wir für eine andere Welt. Für eine bessere Welt – jenseits von Staat und Kapital, Cops und RWE, die Hand in Hand gehen, um diese Vorstellungen mit aller Gewalt niederzutrampeln. Es geht um eine Welt, in der Reproduktion, also das Kümmern umeinander, um unseren Planeten und die Befriedigung aller Bedürfnisse, eine wichtigere Rolle einnimmt als die Profite von RWE und co. Es geht um eine Welt, in der Menschen keine Angst um ihr Zuhause oder ihr Leben haben müssen, weil sich nächste Dürre oder die nächste Flut sie noch schlimmer treffen wird als die davor. Und während Menschen besonders im globalen Süden um ihre Existenz fürchten, wird anderswo geplant, wie man sich am besten vor den kommenden Katastrophen der Zukunft schützen kann und zu welchem Preis man mit Elon Musks SpaceX-Raketen den Mars besiedeln wird. Für uns geht es um eine Welt, in der nicht mehr die Parole gilt: „Nach mir die Sintflut!“
Das Verharren in der Kohle ist eine besonders üble Erscheinung dieser Verhältnisse, ein Hohn und eine Unverschämtheit. Aber auch die vorgeschlagenen Alternativen sind nicht die Lösung. Auch der Übergang zu einem Green Capitalismkann keine Lösung für die Umweltfrage sein! An Beispiel Deutschlands und anderer europäischer Länder werden die Verfehlungen dieses „nachhaltigen Kapitalismus“ schon greifbar: Waldbrände in Brandenburg, Fluten und Dürren in Italien. Der so genannte „Green New Deal“ ist von der Frage geleitet und bestimmt, wie man durch eine vermeintlich nachhaltige Politik die nationale Produktion konkurrenzfähiger macht und auch dann noch möglichst gut Geld machen kann, wenn um einen herum die Erde brennt und Menschen ertrinken. Eines bleibt dabei jedoch unangetastet, nämlich das Entscheidende: Die kapitalistische Produktionsweise ist auf unendlichen Wachstum als ihren Selbstzweck angewiesen; sie kann nicht Rücksicht auf uns alle nehmen und sie muss Menschen in Konkurrenz versetzen. Sie steht Widerspruch zu dem, was hier die Frage ist: Wie kann man bewusst und gemeinsam eine Welt für alle organisieren, die eine Zukunft haben kann?Denn wir wissen, dass eine andere Welt möglich ist. Wir spüren es in unseren Körpern, die sich durch den Matsch geschlagen und aus dem Matsch geholfen haben. Die dem Pfefferspray und den Schläge getrotzt haben. Wir wissen es schon jetzt: In den Händen, die wir Samstag uns gereicht haben, um über einen Wall zu kommen; in der Kochsalzlösung, die wir uns gegenseitig in die Augen gegossen haben; in der Freude und Stärke, die wir trotz der Gewalt gegen uns in uns gespürt haben. Ja, auch in der Angst, die wir miteinander teilen durften und uns gegenseitig genommen haben.  Freund*innen: Es ist jetzt der Punkt, zusammen zu bleiben, uns unsere Hoffnung, unsere Wut, unsere Freude für ein ganz anderes Ganzes nicht nehmen zu lassen. 
Nach letztem Samstag dürfen wir unseren Kampf und unser Momentum nicht verlieren; es ist aber auch nötig, ein politisches Zwischenfazit zu ziehen: Die Politik hat unsere Bewegung vereinnahmt, unsere Parolen aufgegriffen und unsere Forderungen zu hippen Wahlkampftakes gemacht. Ja, allen vorran die Grünen. Sie haben mit uns demonstriert, manchen Aktivisti sogar Plätze in ihrer Partei angeboten. All das, um unsere Bewegung dann in Lützerath und dann als Partei in der Bundesregierung zu verraten. Auch politische Bewegungen scheinen manchmal im grünen Kapitalismus nicht mehr  zu sein als politisches Kapital, dass dann im Stimmengewinn seine Wertsteigerung erreicht. Wir wollen aber nicht in das Grünen-Bashing verfallen, wie es gerade in linksliberalen und sozialdemokratischen Medien betrieben wird. Sagen wir es, wie es ist: die Grünen sind eben, was sie sind: eine Partei in einem kapitalistischen System, die sich letztlich nur den Regeln dieses Systems unterwerfen kann, genau wie CDU und SPD. Wir möchten an dieser Stelle gezielt zu den Menschen sprechen, die Sympathien für die Grünen hegen oder Mitglied der Partei und besonders ihrer Jugendorganisationen sind: Wir sind uns sicher, auch ihr seid wütend auf das, was eure Partei in Lützi veranstaltet hat, und wir sind uns sicher, dass ihr mit den besten Intentionen und ehrbaren Zielen in die Partei eingetreten seid. Aber wir müssen festhalten: auch die Grünen haben in Lützi mitgeknüppelt und mitgepfeffert. Es ist jetzt Zeit, sich folgendes einzugestehen: Mit den Grünen ist keine Klimapolitik zu machen. Es ist auch keine Zeit mehr, auf irgendwelche Veränderungen oder mögliche Einflussnahme auf die Partei zu hoffen. Es sind für euch Tage der Entscheidung: Which side are you on?  Es  scheint absurd, nach Lützi zu fahren, mit einem Schlüssel zum Parteibüro der Grünen in der Tasche.
Wir werden Lützi nicht vergessen. Wir werden nicht vergessen, wie die Cops mit uns und besonders mit den Bewohner*innen von Lützerath umgegangen ist. Wir werden nicht vergessen, wer für die Zerstörung von Natur und Utopie verantwortlich ist. Wir werden nicht vergessen und wir werden vor allem nicht vergeben. Unser Kampf geht weiter. Weiter gegen Klimakiller wie RWE, gegen kapitalistische Zerstörungslust in Firmenzentralen oder in Parlamenten. Für das gute Leben für alle!