Die Geschichte hinter unserem Mobimaterial

Das Bild: „Judith enthauptet Holofernes“

Das Gemälde stellt die Szene dar, in der die Jüdin Judith den assyrischen General Holofernes mit seinem eigenen Schwert enthauptet. Das alttestamentliche Buch „Judith“ ist eine Allegorie der jahrhundertelangen Geschichte der Unterdrückung und Selbstbefreiung Israels. Dabei ist es gerade die junge Witwe Judith, die zum Sinnbild der Widerstandskraft und der Selbstemanzipation wird. Sie löst unerwartet eine hoffnungslose Situation auf, indem sie radikal agiert und das Problem wortwörtlich am Schopf packt.

 

Es ist nicht falsch zu behaupten, dass die Geschichte offen von gesellschaftlicher Emanzipation handelt und dabei sexualisierte Gewalt thematisiert. Das politische Projekt Israel war im Vergleich zu den benachbarten Reichen bewusst deutlich progressiver ausgerichtet: Es beinhaltete Ansätze von Demokratie und Vergesellschaftung des Reichtums und war vom Verzicht auf Sklavenhaltung gekennzeichnet. Die jüdische Kultur leistete außerdem einen Bruch mit den Ursprungsmythen und der Sakralisierung natürlicher Prozesse, die zur Unterordnung gegenüber einem vermeintlich Ursprünglichen anstifteten und damit zur Bestätigung gesellschaftlicher Macht dienten. Statt der Vorstellung ewigwiederkehrender, natürlicher Zyklen, in denen Menschen verfangen sind, führte das Judentum ein Zeitverständnis ein, das Platz für Veränderung und Bruch mit dem Gegebenen vorsah. Die Unterdrückung Israels durch die großen benachbarten Imperien bedeutete also auch immer den Versuch, Menschen zurück in die Sklavenhaltergesellschaft und in mythische Archaismen zu drängen.

Die militärische Besetzungen hießen dabei konkret auch Zunahme von sexualisierter Gewalt – vor allem gegen Frauen. Indem die Frau Judith zur Befreierin und Rächerin Israels gemacht wird, werden allgemeine Emanzipation und Emanzipation von Frauen als unzertrennlich betrachtet.
Im Bild nimmt aber die Künstlerin auch Rache an ihrem Vergewaltiger und an die patriarchale Gesellschaft, unter der sie leiden musste: Zum Sexualobjekt gemacht, wird sie zum Subjekt ihrer Emanzipation und Rache.

Die Künstlerin: Artemisia Gentileschi (CN: rape)

Die Künstlerin Artemisia Gentileschi (geb. 1593) war Tochter des Malers Orazio Gentileschi und wuchs im römischen Künstlerviertel auf. Sie begann schon früh eine Karriere als Malerin, was für die Zeit äußerst ungewöhnlich war. Ihre Kunst sorgte für Aufregen: Ihr wurde vorgeworfen “nicht wie eine Frau” zu malen, sondern “männlich”.

Die Gewalt des Patriarchats erfuhr sie hautnah als sie gerade 18 geworden war. Ein anderer Maler, den Artemisias Vater eingestellt hatte, um der Tochter in der Perspektive zu Unterrichten, vergewaltigte sie. Artemisia reagierte energisch: “Als ich frei war, rannte ich zur Tischschublade, nahm ein Messer heraus, stürzte auf Agostino los und schrie: ,Mit diesem Messer will ich dich töten’”. Daraufhin zeigte Artemisias Vater den Vergewaltiger an.

Was aber folgte, war eine zweite Auflage patriarchaler Gewalt durch die Justiz. Artemisia musste sich gynäkologischen Untersuchungen in Anwesenheit der Richter unterziehen und wurde zusätzlich gefoltert, um die Wahrheit ihrer Aussagen zu bestätigen. Ihr Vergewaltiger leugnete währenddessen die Tat – Folter wurde er selbstverständlich nicht unterzogen. Die Richter schenkten ihm Glauben, trotz seiner diskrepanten Aussagen und seines schlechten Rufes. Der Vergewaltiger wurde freigesprochen, Artemisias Vater nahm sogar die Freundschaft mit ihm wieder auf.

Artemisias ruf war ruiniert und sie geächtet. Sie Floh nach Florenz, wo sie sich als Künstlerin selbst behaupten konnte. Sie bekam Aufträge vom toskanischen Großherzog und wurde als erste Frau Mitglied der “Accademia dell‘Arte dei Disegni”. Mit ihrer Kunst wurde sie in ganz Europa berühmt und erlang ökonomische Unabhängigkeit. Sie konnte sich von dem Mann, den sie zur Reparation ihres Rufes heiraten musste, scheiden lassen. Ihre zwei Töchter zog sie alleine auf.

Ihre Kunst war avantgardistisch und stark an Caravaggio angelehnt, der mit seinem kräftigen Realismus sich der herrschenden Ästhetik des Manierismus widersetzte. Artemisia wählte dabei bewusst Motive, in denen Frauen als starke, handelnde Subjekte vorkommen.