Redebeitrag: AfD Neujahrsempfang 20.01.

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Münsteraner Stadtgesellschaft!


Der Neujahrsempfang der AfD gehört mittlerweile schon fast so fest zum Münsteraner Jahresablauf wie der Send. Dieses Jahr setzt der Bezirksverband trotz -oder gerade wegen- seiner desolaten Lage einen drauf: Mit der Einladung an Björn Höcke bekennt man sich nun endgültig zum rechtsextremen (und eigentlich aufgelösten) Flügel, einer rechtsextremen Splittergruppe in einer schon rechtsradikalen Partei. Damit wäre eigentlich schon genug gesagt. Aber es lohnt sich dennoch, sich die heute geladenen hohen Gäste noch ein mal genauer anzuschauen. Da wäre zuerst einmal der bereits genannte Björn Höcke, der nach einem Gerichtsurteil von 2019 ganz rechtens als Faschist bezeichnet werden darf. Dass er mit dieser Ideologie keinerlei Berührungsängste hat, macht er in seinen Äußerungen immer wieder deutlich: Mal schwadroniert er vom „letzten Degenerationsstadium der Demokratie“, um sich dann im nächsten Atemzug wieder einen „Führer“ zu wünschen. Wen er sich in dieser Rolle wünscht, lässt er zwar offen, aber die Vermutung liegt nahe, dass er hier seine eigene Machtgeilheit projeziert.Das zweite Sternchen am kackbraunen Himmel heute Abend ist Christian Blex. Zwar dümpelt dieser nette Herr seit letztem Jahr als Fraktionsloser im Landtag von NRW durch die Gegend, aber auch er lässt sich dem „Flügel“ zuordnen. Wenn er nicht gerade auf Twitter gegen alle hetzt, die nicht in sein sehr eingeschränktes Weltbild a la „Ehe, Küche, Vaterland“ passen, dann besucht er gerne autoritäre Herrscher: 2018 unterhielt er sich auf seiner „Syrienfahrt“ mit dem Großmufti von Damaskus und machte deutlich, dass er dem politischen Stil eines Bashar Al Assads durchaus etwas abzugewinnen hat. In diesem Atemzug erklärte er Syrien übrigens auch – vermutlich gestützt von seiner großartigen Expertise – zu einem sicheren Herkunftsland. Den Vogel schoss er jedoch im letzten Jahr ab: er besuchte die im Rahmen des imperialistischen russischen Angriffskrieg besetzten „Volksrepubliken“ Donbass und Cherson. Man scheint in der AfD also auch zu einem Putin durchaus Parallelen zu sich selbst ziehen zu können. Kein Wunder, verteidigt der neue Zar von Moskau doch die Werte des „alten Westens“ gegen die Dekadenz der Moderne; namentlich: Rechte von Frauen und LGBTQ-Personen, freie Presse, Säkularität… die Liste ließe sich ewig fortführen.Letzter, aber nicht weniger verabscheuenswerter Gast heute Abend ist Daniel Zerbin. Recherchen zufolge gilt er als Bindeglied zur völkisch-faschistoiden „Identitären Bewegung“ und der „Jungen Alternative“, aus deren Reihen der ehemalige Oberstleutnant und Kampfsporttrainer auch rechte Schlägertrupps rekrutiert. Ein Blick auf die Facebookseite seines Sportstudios mit dem vielsagenden Namen „Sparta“ offenbart, welche Vision er von einer Gesellschaft hat: starke Männer, ohne jede Spur von Emotion, die ihr Vaterland verteidigen und unterwürfige, blonde, gebährfreudige Frauen, die ihren tapferen Kriegern die Wunden pflegen. Kommt einem irgendwie bekannt vor, oder? 

Halten wir kurz fest: heute versammelt sich hier die Creme de la Creme der Neuen Rechten aus NRW und Deutschland. In diesem Jahr sind aber nicht nur die Gäste beachtenswert, sondern auch der Titel der Veranstaltung und seine Implikationen: Man trifft sich unter dem feschen Titel „Frieden für Deutschland, Europa und die Welt.“ Zynischer und deutscher wird es wohl kaum: natürlich steht die geliebte Heimat an allererster Stelle; es gilt ja die Parole „Deutschland zuerst!“ Dass man sich damit ganz bequem aus jeder geopolitischen Verantwortung entziehen kann, ist die eine Seite der Medaille, die wir von der AfD kennen, die sich bekannterweise ja auch weigert, die Shoah, den Massenmord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden und die Ermordung von politischen Gegner*innen als Teil der deutschen Geschichte zu akzeptieren. Ebenfalls erschreckend ist es, wenn man sich den geforderten „Frieden“ einmal vor dem Hintergrund des Angriffskriegs gegen die Ukraine auf der Zunge zergehen lässt. Diese Männer, die gerade im Rathaus bei Canapés und Sekt „Frieden“ fordern, fordern gleichzeitig etwas, das sich ungefähr mit „Hände weg von Russland“ umschreiben ließe. Nicht nur, dass hier eine Täter-Opfer-Umkehr par excellénce stattfindet, nein! Mit solchen Parolen nimmt man mindestens in Kauf, dass sich die Massaker von Cherson, Butscha und Dnipro wiederholen und lässt einem Diktator den Weg frei, die Ukraine in seinen neuen Hegemonialstaat einzugliedern. Das kann kein Frieden sein, der diesen Namen verdient und den man unterstützen kann!

Erlaubt mir noch eine kurze Randnotiz, weil mich und viele von euch das Thema sicherlich auch beschäftigt: Herr Blex ist nicht nur begeisterter Kriegsgebietstourist, er nennt sich auch „Energiepolitiker“. Aus dieser Warte heraus fordert er eine „ideologiefreie Energiepolitik“. Diese Maxime scheint für ihn aber nicht zu gelten – in seinen Redebeiträgen schießt er gegen Klimaaktivist*innen – ah, pardon, Klimaterrorist*innen – jedweder Coleur und „zerstört“ in 3 Minuten die Windkraft, anstatt zu fragen, was nun wirklich für steigende Energiepreise sorgt und warum besonders Menschen im Präkariat frieren mussten. Aufgepasst, Herr Blex! Das liegt nicht etwa daran, dass wir den Planeten nicht noch länger brennen sehen wollen und einen sofortigen Kohleausstieg fordern – das liegt an der Profitgier von RWE und der kapitalistischen Verwertungslogik. 


Die AfD hat es in den letzten Jahren geschafft, die Grenzen des Sag- und Handelbaren immer weiter zu verschieben. Das ist ihnen bislang derartig gut gelungen, dass die Narrative, die 2014 als unsagbar galten, nun wie selbstverständlich im politischen Diskus aufgenommen werden.Als die Identitäre Bewegung 2015 ein Boot charterte, um damit Geflüchtete auf dem Mittelmeer an der Flucht nach Europa zu hindern, haben wir sie ausgelacht. Was vor nicht allzu langer Zeit als wahnsinnig galt, ist heute die seit Jahren von der EU geförderte staatliche Linie in der Flüchtlungspolitik. Getragen und unterstützt von allen Parteien im deutschen Parlament, umgesetzt von den Schlächtern der „Libyschen Küstenwache“.Das, was die AfD sät, fällt auf besonders fruchtbaren deutschen Boden. 


Genug jedoch der Kritik an der AfD. Mindestens genau so wichtig ist es heute Abend, uns als radikale Linke und besonders der „bürgerlichen Mehrheitsgesellschaft“ mit ihren Parteien und Zeitungen den Spiegel vorzuhalten. Hier in Münster brüsten wir uns immer stolz damit, dass die AfD die schlechtesten Wahlergebnisse im Bund einfährt und wir doch so weltoffen seien. Ich möchte fragen: wie kann es dann in dieser weltoffenen Stadt jedes verdammte Jahr dazu kommen, dass sich eine rechtsradikale Partei hier trifft, um sich selbst abzufeiern? Scheinbar reicht es den meisten von uns, im Kampf gegen die Neue Rechte am Wahltag das Kreuzchen nicht bei der AfD zu setzen.  Aber das scheint ja nun irgendwie nicht zu reichen. Trotz schlechter werdender Wahlergebnissen kann eine ehemalige AfD-Abgeordnete mit anderen Faschos und Reichsbürger*innen einen Staatsstreich inklusive Hinrichtungen aller ihrer Feinde planen; trotz schlechter Wahlergebnisse können deutsche Cops und deutsche Soldaten unbehelligt in Chatgruppen gegen nicht „Biodeutsche“ hetzen, die Shoah leugnen, Schwarze Menschen in Gefägniszellen anzünden oder sie auf offener Straße erschießen, wie es letztes Jahr mehrfach passiert ist. Flüchtlingsheime brennen, Verschwörungserzählungen, die vor Antisemitismus strotzen, sind spätestens seit Corona wieder an der Tagesordnung und zu Beginn des Jahres wurde erneut eine rassistische Integrationsdebatte angestoßen. Diese Integrationsdebatte wurde nicht etwa von der AfD angeführt. Sie wurde unter anderem vom Parteivorsitzenden der Volkspartei CDU maßgeblich in Gang gesetzt.Und die anderen Parteien folgen brav. Die SPD bringt direkt weitere Gesetzesverschärfungen auf den Weg, die FDP und die Grünen stehen nickend daneben und begründen diese Repressalien mit den „harten Zeiten“. 


Das Problem ist auch, aber eben nicht nur die AfD. Die AfD ist der Auswuchs einer sich immer mehr offenbarenden autoritären, regressiven Tendenz in diesem Land. Es gibt sie in den anderen Parteien, es gibt sie in den Institutionen dieses Landes. Um diesen starken Wind von Rechts aufzuhalten, hilft es nur, sich ihm entschlossen entgegenzustellen. Es hilft hingegen garnichts, sich darauf zu verlassen, dass dieser Staat oder sonst wer uns vor dieser Barberei schützen kann und wird. Und eine Selbstbeweihräucherung wegen schlechter Wahlergebnisse eines einzelnen Symptoms dieser Entwicklung bringt erst recht nichts. 


Heute, wie an allen anderen Tagen des Jahres auch, muss man sich ins Gedächtnis rufen, dass Antifaschismus Handarbeit war, ist und bleibt. Dass das gute Leben für alle nur antiautoritär erstritten werden kann und außerhalb der bürgerlichen Mitte stattfinden wird. Lasst uns diesen Faschos da drinnen den Abend versauen. Lasst uns ihnen zeigen, dass wir sie weder hier noch sonst wo haben wollen. Lasst uns ihnen die Hölle heiß machen, mit allen Mitteln! 

Rede: Wir werden Lützerath nicht vergessen

Ich sitze am Freitag vor der Großdemo in Lützerath mit meiner Mama beim Kaffee. Meine Mama hat immer schon die Grünen gewählt. „Mama, ich fahre morgen nach Lützi“, sage ich zu ihr. Ihre erste Reaktion ist nicht etwa „Schmeiß bloß keine Steine!“ oder „Was? Du demonstrierst mit den Klimaterroristen?!“ sondern: „Pass bitte auf dich auf. Besonders vor der Polizei.“ Wie viel Recht sie damit haben sollte, hat sich Samstag gezeigt.  Schon bei der Ankunft in Keyenberg, von wo aus die angemeldete Demo starten sollte, waren die Cops bereits in voller Montur und mit heruntergeklappten Visieren unterwegs, die Hand schon am Gummiknüppel. Wie sehr sie Bock auf Gewalt und Eskalation hatten, wurde dann auf dem Acker vor Lützi klar. Bei der kleinsten Näherung an Polizeiketten kam literweise Pfefferspray zum Einsatz, bei jedem Mucks, der aus der Demonstration kam, wurden die Schlagstöcke gehoben, die Reiterstaffeln warteten nur darauf ihren Pferden die Sporen zu geben, während andere Polizisten auf bewusstlose Personen einschlagen, während diese von Demosanis behandelt wurden. An dieser Stelle ein Riesen Dankeschön an die Demosanis, ohne die der Tag für einzelne noch wesentlich schlimmer geendet wäre. 
Aber auch wenn die maßlose Gewalt der Polizei an Tagen wie Samstag schockiert, so müssen wir doch einem Argument der Konservativen recht geben. „Die machen doch nur ihren Job“. Ja, die Polizei macht nur ihren Job – und Samstag war es ihr Job die Konzerninteressen von RWE durchzusetzen und als sein Privater Schlägertrupp zu agieren. Erinnern wir an das neue Polizeigesetz NRW von 2018 und an die Verschärfung des Versammlungsgesetzes 2022 – dann muss uns klar sein: Gewaltexzesse, wie die von Samstag sind politisch gewollte administrativ vorbereitet und werden zunehmend rechtlich abgesichert. 
Wenn es geltendes Recht ist, mit tausenden Polizisten und roher Gewalt einem Konzern dabei zu helfen zu Gunsten seiner Profite die Klimakrise zu verschärfen. Dann sagen wir mit reinem gewissen – dieses Recht gilt es zu brechen! Wenn die politische Ordnung es zulässt, dass die – ohnehin schon nicht ausreichenden Klimaziele immer wieder zu Gunsten des Wirtschaftsstandort Deutschland gebrochen werden – dann greifen wir diese politische Ordnung an. Und wenn es legitim ist, dass Deutschland durch sein Wirtschaften seit Jahrzehnten Klimakatastrophen in den globalen Süden exportiert, während sie mit Frontex an ihrer Seite davor fliehende Menschen im Mittelmeer ertrinken lässt – dann stehen wir hinter jeder einzelnen Person, die Polizeiketten durchbricht, auf Tripods klettert oder die Polizei physisch an der Festnahme von Klimaaktivisti hindert! 
Wir haben die Schnauze voll! Voll von Scheinheiligen Grünen, die sich im Parlament auf den dreckigen Deal mit RWE einlassen und sich in Lützi als Teil der Bewegung inszenieren. Voll von knüppelnden Robotercops und wir haben die Schnauze voll, von den Kommentarspalten der bürgerlichen Mitte – die ihren Mund halten wenn ein Netzwerk bewaffneter Reichsbürger enttarnt wird – sich aber die Todesstrafe für Klimaaktivisti wünschen, weil sie in einer Sitzblockade sitzen! 
Und weil wir die Schnauze so gestrichen voll haben – werden wir weiter kämpfen, denn wir lassen uns nicht einschüchtern! Erst heute in haben Aktivist*innen in den frühen Morgenstunden einen Braunkohle Bagger in Inden und die Zufahrtsschienen zum Kohlekraftwerk in Neurath blockiert. Lützerath können Sie Wegbaggern, aber unseren Willen für eine bessere Welt zu kämpfen nehmen sie uns nicht! Wir machen weiter, wir kommen wieder, wir werden mehr und wir werden lauter! 
Hinter unserem Kampf zum erhalt von Lützerath steht  viel mehr als ein kleiner Ort: In Lützi verbinden sich unsere Kämpfe wir für eine andere Welt. Für eine bessere Welt – jenseits von Staat und Kapital, Cops und RWE, die Hand in Hand gehen, um diese Vorstellungen mit aller Gewalt niederzutrampeln. Es geht um eine Welt, in der Reproduktion, also das Kümmern umeinander, um unseren Planeten und die Befriedigung aller Bedürfnisse, eine wichtigere Rolle einnimmt als die Profite von RWE und co. Es geht um eine Welt, in der Menschen keine Angst um ihr Zuhause oder ihr Leben haben müssen, weil sich nächste Dürre oder die nächste Flut sie noch schlimmer treffen wird als die davor. Und während Menschen besonders im globalen Süden um ihre Existenz fürchten, wird anderswo geplant, wie man sich am besten vor den kommenden Katastrophen der Zukunft schützen kann und zu welchem Preis man mit Elon Musks SpaceX-Raketen den Mars besiedeln wird. Für uns geht es um eine Welt, in der nicht mehr die Parole gilt: „Nach mir die Sintflut!“
Das Verharren in der Kohle ist eine besonders üble Erscheinung dieser Verhältnisse, ein Hohn und eine Unverschämtheit. Aber auch die vorgeschlagenen Alternativen sind nicht die Lösung. Auch der Übergang zu einem Green Capitalismkann keine Lösung für die Umweltfrage sein! An Beispiel Deutschlands und anderer europäischer Länder werden die Verfehlungen dieses „nachhaltigen Kapitalismus“ schon greifbar: Waldbrände in Brandenburg, Fluten und Dürren in Italien. Der so genannte „Green New Deal“ ist von der Frage geleitet und bestimmt, wie man durch eine vermeintlich nachhaltige Politik die nationale Produktion konkurrenzfähiger macht und auch dann noch möglichst gut Geld machen kann, wenn um einen herum die Erde brennt und Menschen ertrinken. Eines bleibt dabei jedoch unangetastet, nämlich das Entscheidende: Die kapitalistische Produktionsweise ist auf unendlichen Wachstum als ihren Selbstzweck angewiesen; sie kann nicht Rücksicht auf uns alle nehmen und sie muss Menschen in Konkurrenz versetzen. Sie steht Widerspruch zu dem, was hier die Frage ist: Wie kann man bewusst und gemeinsam eine Welt für alle organisieren, die eine Zukunft haben kann?Denn wir wissen, dass eine andere Welt möglich ist. Wir spüren es in unseren Körpern, die sich durch den Matsch geschlagen und aus dem Matsch geholfen haben. Die dem Pfefferspray und den Schläge getrotzt haben. Wir wissen es schon jetzt: In den Händen, die wir Samstag uns gereicht haben, um über einen Wall zu kommen; in der Kochsalzlösung, die wir uns gegenseitig in die Augen gegossen haben; in der Freude und Stärke, die wir trotz der Gewalt gegen uns in uns gespürt haben. Ja, auch in der Angst, die wir miteinander teilen durften und uns gegenseitig genommen haben.  Freund*innen: Es ist jetzt der Punkt, zusammen zu bleiben, uns unsere Hoffnung, unsere Wut, unsere Freude für ein ganz anderes Ganzes nicht nehmen zu lassen. 
Nach letztem Samstag dürfen wir unseren Kampf und unser Momentum nicht verlieren; es ist aber auch nötig, ein politisches Zwischenfazit zu ziehen: Die Politik hat unsere Bewegung vereinnahmt, unsere Parolen aufgegriffen und unsere Forderungen zu hippen Wahlkampftakes gemacht. Ja, allen vorran die Grünen. Sie haben mit uns demonstriert, manchen Aktivisti sogar Plätze in ihrer Partei angeboten. All das, um unsere Bewegung dann in Lützerath und dann als Partei in der Bundesregierung zu verraten. Auch politische Bewegungen scheinen manchmal im grünen Kapitalismus nicht mehr  zu sein als politisches Kapital, dass dann im Stimmengewinn seine Wertsteigerung erreicht. Wir wollen aber nicht in das Grünen-Bashing verfallen, wie es gerade in linksliberalen und sozialdemokratischen Medien betrieben wird. Sagen wir es, wie es ist: die Grünen sind eben, was sie sind: eine Partei in einem kapitalistischen System, die sich letztlich nur den Regeln dieses Systems unterwerfen kann, genau wie CDU und SPD. Wir möchten an dieser Stelle gezielt zu den Menschen sprechen, die Sympathien für die Grünen hegen oder Mitglied der Partei und besonders ihrer Jugendorganisationen sind: Wir sind uns sicher, auch ihr seid wütend auf das, was eure Partei in Lützi veranstaltet hat, und wir sind uns sicher, dass ihr mit den besten Intentionen und ehrbaren Zielen in die Partei eingetreten seid. Aber wir müssen festhalten: auch die Grünen haben in Lützi mitgeknüppelt und mitgepfeffert. Es ist jetzt Zeit, sich folgendes einzugestehen: Mit den Grünen ist keine Klimapolitik zu machen. Es ist auch keine Zeit mehr, auf irgendwelche Veränderungen oder mögliche Einflussnahme auf die Partei zu hoffen. Es sind für euch Tage der Entscheidung: Which side are you on?  Es  scheint absurd, nach Lützi zu fahren, mit einem Schlüssel zum Parteibüro der Grünen in der Tasche.
Wir werden Lützi nicht vergessen. Wir werden nicht vergessen, wie die Cops mit uns und besonders mit den Bewohner*innen von Lützerath umgegangen ist. Wir werden nicht vergessen, wer für die Zerstörung von Natur und Utopie verantwortlich ist. Wir werden nicht vergessen und wir werden vor allem nicht vergeben. Unser Kampf geht weiter. Weiter gegen Klimakiller wie RWE, gegen kapitalistische Zerstörungslust in Firmenzentralen oder in Parlamenten. Für das gute Leben für alle! 

Blaugrüne Scheiße – Die zweifache Gewalt in Lützerath

Gewalt hoch zwei

Hundertschaften und Schmerzgriffe, Schlagstöcke und Pfefferspray, nächtliche Räumungen und verwehrte Sanitäter*innen-Einsätze: Die ganze Gewalt der Polizei wird gerade gegen die Menschen losgelassen, die sich der weiteren Kohlebeförderung in Garzweiler widersetzen. Als Hohn obendrauf erklingen polizeiliche Aufforderungen zur Gewaltlosigkeit der Aktivist*innen. Als Gewaltmonopolist wäre der Staat ja eigentlich primär dafür, dass offene Gewalt und Erpressung als Mittel, um Beziehungen und Verhältnisse in der Gesellschaft zu regeln, aus dem Raum geschafft werden. In Lützerath aber wendet der Staat diese Gewalt an, um selbst Dinge zu regeln, im Dienste des Partikularinteresses von RWE. Wie geht das denn? Darf er das?

Er darf und soll das, nach seiner Logik und seinen Gesetzen. Er verteidigt damit Eigentum und handelt im Dienste des besseren Gelingen von Kapitalakkumulation. Beides ist für diesen Staat eine wesentliche Aufgabe. Dieser Staat steckt ja einerseits die Bedingungen ab, unter denen kapitalistische Ausbeutung gelingt – genau in der Form des freien Tausches zwischen rechtlich gleichen Eigentümer*innen. Und er kümmert sich darum, dass die Kapitalakkumulation im Raum der Nation am besten zustande kommt, handelt dafür hin und wieder auch gegen die Interessen der einzelnen Kapitalist*innen – im Fall von Lützi aber ganz offen im Einklang mit dem unmittelbaren Interesse von RWE. Darin übernimmt aber der Staat nicht einfach eine Funktion des Kapitals: Er setzt sein eigenes Interesse um und stellt dem Kapital seine eigene Gewalt zur Verfügung: eine Gewalt, die das Kapital selbst nicht hätte.
Diese Gewalt dient dabei gerne dazu, unmittelbare Krisen zu überbrücken: Hier geht es darum, den energetischen Engpass durch Rückgriff auf Kohle zu lindern. Die Bereitstellung dieser Gewalt ist also selbst eine der Funktionen diesen Staates und ergänzt und erhält dabei die stumme und diffuse Gewalt des Kapitals selbst, die schon immer in die Lohnarbeit zwingt, die Welt rassistisch und patriarchal aufteilt und akut die Natur bis zum Kollaps verheizt. Sie ist eine „Gewalt hoch zwei“: Die Gewalt des Staates wirkt gegen jede ernsthaftere Regung des Widerstandes gegen die Gewalt dieser Verhältnisse erklärt diese zur illegalen und nicht tolerierbaren Gewalt. 

Und ja: Gegen diese zynische, destruktive und repressive Gewalt sind ein paar Steine das Mindeste. Gegen diese Gewalt stehen wir gerne bereit! Doch wir schämen uns nicht zu sagen, dass wir auch Angst haben. Wir mögen diese Härte nicht, wir wollen sie nicht, aber sie existiert. Unser Widerstand ist an erster Stelle unser Zusammenkommen und unsere Solidarität. Zu allem weiteren werden wir durch äußere Umstände gezwungen. Für die Abschaffung der Angst! 

Grüne Scheiße

Grüne LOL. Darüber muss man wohl nicht lange diskutieren. Unter allem Niveau der Kritik ist, wer nicht mal ein paar Monate die Farce der „Grünen Wende“ aufrechterhalten konnte und sehr schnell ins Bett der Kohlekonzerne geschlüpft ist. Noch gestern waren FFF-Demos das heißbegehrte Zielpublikum, heute schickt man Knüppel und eigene RWE-Polizeisammeltransporter gegen ihre Aktivist*innen. Dafuq?!
Und dort, wo sie gemäß ihrer zeitgemäßeren Berufung agieren und als Prophet*innen des Green New Deals auftreten, werden sie erst recht zum Gegenstand der Kritik – und zwar zu einem der dringendsten. Die Grünen sind die beste und zuverlässigste Partei des Kapitals in seiner gegenwärtigen Phase. Mit der Grünen Wende (die aber wegen der Konjunktur doch nun kurz warten soll), streben sie nichts anderes als Konkurrenzvorteile für die deutsche Wirtschaft an, indem sie den für das Fortwähren der Kapitalakkumulation notwendigen Umbau der Produktion einleiten.
Nachhaltig ist die Grüne Wende wohl kaum – sie setzt auf krasseste Umweltzerstörung in anderen Regionen, sie bedarf langer Transportwege, sie ist nicht denkbar ohne übermäßige Ausbeutung rassifizierter Arbeit. Vor allem aber: Sie unterbricht nicht den doch immer wieder auf Natur zurückfallenden ununterbrochenen Zwang zur Kapitalvermehrung.

1980 wussten die Grünen noch, dass Kapitalismus „gekennzeichnet ist durch die zunehmende Zerstörung der Lebensgrundlage der Menschen“ und „dass in einem begrenzten System kein unbegrenztes Wachstum möglich ist“ und dass dagegen nur „eine Gesellschaft, die demokratisch ist, in der die Beziehungen der Menschen untereinander und zur Natur bewusster gehandhabt werden“ (Call it by its name: Communism!).

Jetzt sind aber diese Worte nur noch „Ideologie“, deren Zeitalter ja vorbei sei: man ist längst politikfähig, regierungsfähig und wohl kanzlerfähig geworden. Außerdem sind die Grünen dabei ganz schön deutsch geworden: Mit ihrem moralischen Anspruch verlangen sie von den Bürger*innen vorauseilenden Gehorsam, Opfer und Hinwendung für die gute Sache.
Wahrhaftige Liberale erkennen wenigstens das Streben der einzelnen nach ihrem eigenen Interesse an: die Grünen verlangen die Hingabe zu einem Kollektiv der Guten – das Deutschland letztendlich doch nur wieder groß machen soll.Aber hey, bei aller Heuchlerei, die sicher auch im Spiel ist, ist es kein Wunder, dass die Grünen so handeln. Im Grunde muss es so sein, da sie Partei in diesem Staat sind. 

Gefangen im Spiegelspiel

Über die Grünen braucht man sich aber nicht zu wundern: Was subversiv angetreten ist, kann nicht anders als systemtragend enden, wenn es nach den Regeln spielt. Da hilft auch keine sich so militant gebärende Parteijugend. Da würde aber auch keine neue linke Partei viel ändern. Die Politik der Parteien in den Parlamenten wird sich am Ende immer darum kümmern müssen, dass die Kapitalakkumulation innerhalb der Nation gut gelingt: Sei es auch nur, um die für die eigene Fraktion typischen Wahlversprechen umsetzen zu können, so progressiv sie auch anmuten. Die Vielfalt der entgegengesetzten Positionen wird selbst zum Spiegelspiel, aus dem immer das gleiche Bild rauskommen muss: Wertschöpfung, gelinge! Wenn es sein muss, wird dann selbst die Partei, die „Grün“ in ihrem Namen trägt und antikapitalistisch und antiautoritär angetreten ist, auf einmal gewaltlüsterne Bullen schicken, um den Weg für die Kohlebagger freiräumen zu lassen. Und das, während die Klimakrise nicht mehr zu übersehen ist und sie selbst – zwar mit der Mogelpackung der „Grünen Wende“ – vor ihren Wähler*innen angetreten waren, um den Ausgang aus den fossilen Energien zu befördern. 

Aber der Politikwissenschaftler Agnoli wusste es: Das Gebäude der „verantwortungsvollen Politik“ hat einen Eingang und keinen Ausgang: „Erst in dem verantwortungsbewussten, nicht bloß gesinnungsmäßigen Eingang in den Palast zeigen sie ihre „Fähigkeit zur Politik”. Handelt eine Gruppe verantwortlich, so legt sie alles Subversive ab, arbeitet mit am Auf- und Ausbau und erlangt derart volle Akzeptanz: Sie wird zunächst oppositionsfähig; sodann koalitionsfähig: schließlich regierungsfähig: fester Bestandteil der Macht, der das vormals Unbotmäßige in den Palast einfährt und es in die Normen, Spielregeln, Einzäunungen zurückholt. Anders gesagt: Sie wird systemische Funktion ebenso wie ihre Vertreter sich in Funktionäre der Repräsentanz verwandeln“ (Johannes Agnoli).

Wohlgemerkt: Wenn wir hier Parlamentarismus kritisieren, dann nicht, weil er uns zu ergebnisoffen sei, und wir dagegen meinen, das einzig Gute zu kennen. Im Gegenteil, der Parlamentarismus im Staat des Kapitals ist eben – bei allen realen und zum Teil relevanten Differenzen unter Parteien, bei allen Vorzügen gegenüber Herrschaftsformen – zu sehr vorbestimmt. Das Wesentliche und Dringliche – die Frage danach, in welcher Weise, mit welchen Zielen und welchen Kosten produziert wird und wie der Reichtum aufgeteilt wird – steht nicht zur Disposition. Das heißt aber, dass der Raum, in dem die Lösung an der Wurzel der relevanteren Probleme der Gegenwart angegangen werden könnte, nie im Rahmen der bürgerlichen Demokratie erreicht wird. Wenn wir also Parlamentarismus kritisieren, dann nicht, weil wir eine organische, kollektivistische Gesellschaft im Blick haben, in der alles – sei es auch auf die beste Art und Weise – vorbestimmt ist. Wir kritisieren Parlamentarismus, weil eben feststeht, was im Großen und Ganzen rauskommen muss, weil eben nicht über die realen Lösungen gemeinsam gesucht und gestritten werden kann, gemeinsam und darin bewusst und selbstbestimmt, durchaus in einer Pluralität von Meinungen und Positionen. Das wiederum – und nichts anderes, was sich jemals so genannt hat – wäre Kommunismus. Aber ja: Im Fall von Lützi wäre es glasklar und es stünde nicht zur Frage, dass sofort mit der Kohleförderung aufgehört werden muss. Kohleenergie ist nicht vernünftig und keine Option. In diesem politischen System ist sie es aber – und zwar wieder die Option der Wahl.

Wir sagen: Erkämpft mit uns eine lebenswerte Zukunft – die nur in der befreiten Gesellschaft liegen kann!
Gegen diese blaugrüne Gesamtscheiße!