Mal schnell zum Punkt. Diese Gesellschaft – trotz aller realen Privilegien, die sie uns noch in unseren Breitengraden gewährt – ist scheiße und bringt viel Kackscheiße hervor.
Sie ist es vor allem deshalb, weil alle Subjekte, alle Beziehungen alle Handlungen – aber auch die Weisen, diese Welt wahrzunehmen und über sie zu reden, ihre Gestalt vom Grundgesetz der kapitalistischen Verwertung gewinnen.
Es ist dieses Gesetz, das alles in unserer Welt besetzt.
Das heißt aber: Alles ist mehr oder weniger einer zutiefst irrationalen und unmenschlichen Regel untergeordnet, die uns ziemlich sicher in richtung Katastrophe reitet, und währenddessen allerlei Ausschluss, Angst, Scheinbefriedigungen, Verarmung des Lebens, Gewalt, Trennung beschert. Zu allem Hohn präsentiert sich die daraus entstehende Ordnung als unveränderbar, natürlich, notwendig.
Unser Alltag ist dadurch voller scheußlicher Selbstverständlichkeiten: Rassistische, Sexistische, Heteronormative, LGBTQI*-feindliche, antisemitische Kackscheiße eben.
Für uns aber heißt es, dass wir uns oft in einer Zwickmühle finden. Diese Verhältnisse versauen unser Leben, wir merken es nicht mehr oder zumindest kommen wir nur sehr schwer auf die Idee, dass diese Verhältnisse verändert werden könnte. Eben alles, auch wir, ist von diesen Verhältnissen besetzt. Das perverse am Ganzen kommt aber noch: gerade wir Menschen reproduzieren in unserem Alltag – als Produzent*innen und Konsument*innen, aber auch als Wähler*innen oder noch als Menschen mit „Freizeit“ – diese Verhältnisse.
Es ergibt sich immer wieder eine gewaltsame Trennung von unseren „radikalen Bedürfnissen“, von dem, was Menschen menschlich leben lässt und eine Gewöhnung an dieses Unmenschliche. Diese Trennung scheint uns selber selbstverständlich und geht so weit, dass das, was wir als unsere Bedürfnisse wahrnehmen, all zu oft schon Funktion der Verwertung ist. Was wir als unsere Bedürfnisse wahrnehmen, ist schon kapitalistisch kolonisiert.
Was aber sind unsere radikalen Bedürfnisse, die uns zum Protest gegen diese Zustände anleiten? Diese haben damit zu tun, dass wir Menschen unsere Bedürfnisse (in einem gewissen Grad zumindest) selbst bestimmen können und das gegebene „System der Bedürfnisse“ umwälzen können; dass wir kreativ und frei uns selber gestalten können, befreit von Identitätszwängen; dass wir befreit in Beziehungen eingehen können, die nicht einer Norm und einem Zweck untergeordnet sind.
Wenn wir von einer Befreiung der Bedürfnisse, der Beziehungen und sogar der Sinne reden, dann meinen wir sicher nicht eine Rückkehr in einem vor-zivilisierten, primitiven Naturzustand. (a) Dann meinen wir – erstens – die Befreiung des Menschen zur Fähigkeit, selbstbestimmt und selbstorganisiert Gesellschaft zu gestalten, zugunsten der individuellen Freiheit aller. Wir meinen jene Assoziation freier Menschen, in der „die freie Entfaltung des Einzelnen die Bedingung der freien Entfaltung aller ist“ (und nicht umgekehrt!). Wir haben also eine Gesellschaft in Blick, die nicht auf eine zum Sachzwang erhobene Gewalt und Unterdrückung gründet. (b) Und – zweitens – meinen wir die Ermächtigung dazu zu wissen, dass Geschichte möglich ist – und nicht nur die ewige Reproduktion des herrschaftsgeladenen kapitalistischen Elends und seiner Traurigkeit. Zu wissen, dass Geschichte noch ungeschrieben ist und wir sie schreiben können.
Es ist klar: Die Veränderung, die man Braucht ist eine ums Ganze. Gerade weil sie ums Ganze ist, betrifft sie alle Bereiche und muss bei uns anfangen. Die Besetzung der Zentrale hat vor allem das bedeutet: Einen Raum zu schaffen, um uns von diesem Kapitalistischen Alltag zu befreien und neue Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen.
Vor diesem Hintergrund ist eine Hausbesetzung ein Akt der Subversion, ein Akt, mit dem die gegebenen Regeln für einen Moment außer Kraft gesetzt werden und gezeigt wird, dass sie weder ewig noch sakrosankt sind. Innerhalb dieser ungerechter und unmenschlicher Verhältnisse setzen Akte der Subversion etwas entgegen, in und mit den Mitteln, die im Bestehenden gegeben sind.
Das hat die Zentrale auf unterschiedliche Weisen – wenn auch für kurze Zeit – getan:
- Die Zentrale ist eine Art Forschungsstätte und Experiment gewesen. Hier haben Menschen versucht zu sehen, was möglich sein kann, wenn nicht der kapitalistische und patriarchale Normalzustand waltet. Hier haben auch Menschen erfahren, wie sehr dieser Normalzustand auf uns lastet, wie sehr wir darin verwickelt sind. Gerade nach einer Woche, wurde das – vor allem in Bezug auf die Frage nach der Reproduktion von Geschlechterrollen – zum Thema. Aber eben: Um überhaupt daran arbeiten zu können, muss man sich vom Druck des Normalzustands ein bisschen befreien. In der Zentrale wurde also eine Situation konstruiert, in der für eine kurze Dauer und an einem kleinen Ort, eine „kühne Hypothese“ erprobt wurde. Diese Hypothese musste und konnte ständig durch die gesammelten Erfahrungen korrigiert werden. Dabei war es von Anfang an ein Handeln unter Ungewissheit: ein Handeln, dessen Wahrheit eine Zukunft aufzeigen wird, in der sich das versuchte als Wahr erwiesen haben wird.
- Die Zentrale ist ein Befreiter Raum, in dem anderes ausprobiert werden kann und form gewinnen kann. Sie ist ein Raum, in dem Menschen sich erholen konnten von dieser Gesellschaft. Und nicht nur deshalb, weil man hier gechillt abhängen konnte (auch das: Befreite Gesellschaft heißt auch Freiheit zur Faulheit!): sondern weil die Alltagstätigkeiten hier anders aussehen konnten.
- Die Zentrale ist ein Raum für ausgeschlossene und für eine Überwindung der unsichtbaren Grenzziehungen, die auch in dieser Stadt (gewalttätig) aufrechterhalten werden. Die Zentrale hat nämlich auch einige Menschen angezogen, die diese Gesellschaft auf die Straße geworfen hat, denen diese Gesellschaft permanent sagt: Du hast hier nichts zu suchen, zeig dich am besten nicht.
2. Schließlich hat die Zentrale etwas in diesem Stadtviertel erweckt. Bei einem Vernetzungstreffen kamen mehr als 50 Menschen aus dem Stadtviertel, aus der Kultur- und Künstler*innenszene, aus ökologischen Zusammenhängen, aus dem sozialen Bereich, aus der Lokalpolitik zusammen. Alle konnten mit der Besetzung und mit den Sorgen um die Entwicklungen im Viertel ihre Anliegen verbinden.
Es hat sich gezeigt: Die Besetzung der Zentrale ist ein kleines Ereignis gewesen, das Neues präsentiert und Möglichkeiten, die vorher unmöglich schienen, eröffnet hat; ein Ereignis, das Menschen gesammelt und Kämpfe verbunden hat. So ein Ereignis endet nicht bei sich, sondern geht mit uns, die wir es weitertragen weiter.
Gerade weil so eine Besetzung nicht nur ein Spaß ist, sondern ein Akt mit politischem Potential, erfährt sie nun Repression. Einem Raum, der Freiheit von Angst und Zwang schaffen wollte, wird Angstdrohung und Gewalt entgegengesetzt.
- Schon am Anfang der Besetzung wurden Menschen vom Staatsschutz verhört. Ja, ihr habt richtig gehört: während Rechtsextreme Netzwerke Todeslisten führen, kümmern sich die Behörden um Hausbesetzer*innen und solidarische Menschen. Aber irgendwie passt das. Denn ja, so eine Besetzung setzt diese ganze gesellschaftliche Ordnung in Frage. Oder genauer: Sie schafft einen Raum, um diese Ordnung in Frage stellen zu können. Sie demaskiert, dass es in unserer Gesellschaft nicht ernsthaft um Freiheit, Gleichheit und Menschlichkeit geht. Ja, hier und dort schon, aber immer als Mittel zum letzten Zweck dieser Gesellschaft: Die (zu tiefst irrationale und unmenschliche) Verwertung.
Dass der Staatsschutz eingeschaltet wurde, passt. Denn der Staat ist schon immer das: Die immer gewaltbereite Instanz, die diese Gesellschaftsform schützt. Er sorgt dafür, dass Hierarchien und Unterdrückungsverhältnisse, dass Elend und Trostlosigkeit, dass Mühe und Angst wortwörtlich als normal und rechtmäßig gelten. Er sorgt dafür, dass diese Normalität nicht in Frage gestellt werden kann. Er sorgt dafür, dass nichts Hervorwächst, was nicht schon in die vorgegebenen Bahnen passt oder – noch schlimmer! – diese Bahnen durchkreuzt.
Der Staat heißt: Diesen Status Quo – und das heißt: Die Alternativlosigkeit, die Begrenztheit von Möglichkeiten – schützen und als absolut erklären.
- Am Ende dieser Besetzung stand die ganz normale Polizei. Sie hat die Menschen aus dem Haus getrieben und dann die Türen verriegelt. Dadurch hat sie dafür gesorgt, dass es hier eben nichts mehr zu sehen gibt. Denn genau das ist die normale Funktion der Polizei: Eine bestimmte „Aufteilung des Sinnlichen“ aufrecht zu erhalten. Damit ist mehreres gemeint. Dass diese Welt nach einer gewissen Regel aufgeteilt ist, nach der nicht alles allen zugänglich ist. Das übersetzt sich auch in eine Zuteilung von Rollen, die nicht ohne weiteres gebrochen werden kann. Und schließlich übersetzt sich diese Aufteilung in eine bestimmte Weise, Dinge wahrzunehmen und zu erfahren. Ja, die Form dieser Gesellschaft bestimmt die Gestalt unseres Alltagslebens und damit auch dessen, was wir erfahren und erleben können. Und wenn sich doch etwas ereignet, dass diese Aufteilung aufbricht, was neue Erfahrungen, neue Beziehungen und damit neue Fragen und Praxisformen ermöglichen könnte – dann muss das Verhindert werden. Wie schon eine Rede bei der ersten Solikundgebung sagte: Dann steht die Polizei da und sagt: „Es gibt nichts zu sehen, geht weiter“. Wenn aber doch sich eine subversive Erfahrung etabliert und ein „Überschuss“ an einer leeren Stelle des Systems ergibt, wenn sich Subjekte, die vorher nicht reinpassten (nicht sein durften, nicht sein konnten) sich von selbst präsentieren, dann sorgt die Polizei dafür, dass es all das einfach nicht mehr gibt. Was diese Tage sich eröffnet hat, wurde gewaltsam geschlossen.
Ja, jetzt gibt es in der Zentrale nichts mehr zu sehen.
Jetzt scheint es wieder so, dass Geschichte nicht zu machen ist, dass Geschichte nicht geht: wer es versucht, wird unterdrückt. Wir aber wissen: Geschichte ist machbar, die Zukunft ist ungeschrieben. Das Kontinuum des notwendigen Elends kann unterbrochen werden und jeder Augenblick hat seine Chance in sich. Wir aber Wissen, die Befreiung von Angst, die Befreiung dazu gemeinsam verschieden sein zu dürfen, ist nötig.
(*) Eine Überarbeitung der Rede erschien in der Zeitung „Graswurzelrevolution“: „Hausbesetzungen als kühne Hypothese. Eine situationistisch inspirierte Reflexion“
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