Gegen die definitive Arschlochgesellschaft

Spiegelung der Rede von NIKA NRW auf der Kundgebung „Solidarität mit Geflüchteten“ – 28.10.

0. Wir spüren es. Es ist ernst.
Die AfD hat in einigen Teilen dieses Landes 30% erreicht – man mag sich nicht ausmalen, was kommen wird. Faschisten neuen Typs waren bei den letzten Anläufen noch die Neuigkeit. Nun sind sie in einigen Orten der Welt bereits seit Jahren Regierungsmacht geworden – beim nächsten Anlauf sind sie Teil der Normalität. Noch schlimmer: Das, an dem sich alle anderen messen. Gleichzeitig überollen uns Asylverschärfungen (GEAS, Krisenverordnung, neue Abschieberegelungen), man kommt fast nicht mehr mit. Zugleich müssen wir feststellen, dass die Organisation im Widerstand gegen rassistische Verhältnisse schwächelt: Über einen Schiffbruch nach einem Pushback mit 700 Toten trauert man immer noch – die Reaktion ist aber schwach. Man hat es oft gesehen, was soll man noch tun? Vielleicht sind die Sinne nicht abgestumpft, aber was tun? Wer sich 2015 oder 2018 gesammelt hat, hat nun einige große Kämpfe ausgetragen – aber dreht man sich nicht im Kreis?

1. Und doch sind wir gefragt: Denn die Lage ist ernst.  
Bei der AfD ist es schon immer klar. Hier ist Rassismus das ganze Programm. Das Angebot ist die Identifikation mit einem Kollektiv – „das Volk“ – das es nicht gibt, das nur in Abgrenzung und Abwertung von anderen zusammenfindet. Das Angebot ist die Entfesselung des Hasses selbst, der am stärksten auf migrantisierte und rassifizierte Menschen freigelassen wird. Andere Argumente sind dort ein Vorwand, um diesen Hass zu tragen. In diesem Hass findet das Volk zusammen. Dafür stehen gut 20 Prozent der Wähler*innen in Deutschland.  Die dramatische Entwicklung ist im Rest der Parteilandschaft, des politischen Diskurses und der Gesellschaft, die sich darin ausdrückt, erkennbar.  Die CDU ist nun in guten Teilen ganz auf AfD-Niveau gelandet. Jens Spahn, der schon Menschenrechte für obsolet erklärte, will jetzt „physische Gewalt“ gegen Geflüchtete anwenden. Merz schafft es, selbst den Kampf gegen Antisemitismus – gerade in diesen Wochen so dringlich, so wichtig – zu instrumentalisieren, um Abschiebungen zu preisen: Zum Hohn der Opfer der Hamas und derer, die durch die antisemitische Internationale bedroht sind. Die Münsteraner CDU tut ähnliches, um den Integrationsrat zu treffen.  Hatten die Grünen noch „mit Bauchschmerzen“ die GEAS-Reform getragen, will die SPD jetzt „in großem Stil abschieben“ und man freut sich gemeinsam über die beschlossene „Krisenverordnung“, die es unter bestimmten Bedingungen ermöglicht, Migrant*innen zur Gefahr zu erklären, die es erlaubt, im Modus des Ausnahmezustands Menschenrechte und Rechtsstaat auszusetzen. Faeser begann ihr Amt mit einem Memorandum, das praktisch eine stärkere Selektion von Migrant*innen anhand wirtschaftlicher Nützlichkeit vorsah. Nun ist sie begeisterte Befürworterin der Abschottungsreformen und Abschiebepläne ohne rhetorische Umwege.  Und hier sind wir am Punkt: Die gewalttätige Abschottung, die Entrechtung und Gefährdung von Menschen, die Brutalität der Deportationen werden von bürgerlich-Liberalen-Linksliberalen nicht mehr als ordinäre Verwaltung des „Migrationsmenagements“ nebenbei und vermeintlich wider Willen getan, und so weit wie möglich fern von den Augen gehalten.  Sie sind nun programmatisch gewollt, man muss sich nicht mehr für die Brutalität erklären. Man muss nicht den neuen Faschisten halb versteckt zuzwinkern – man weiß, dass die eigene Basis nun mitmacht: Über Jahre wurde das Unerträgliche normalisiert. Vielleicht kann man sogar über diesen Zynismus nun stolz sein. Let`s be assholes! (1)

2. Warum passiert das?
Ja, einerseits heißt es: Schnell, schnell, bevor Europa 2024 wählt – und man meint immer noch, dass man die AfD dadurch schwächt, dass man sie nachmacht. Anderseits passiert was anderes. Das Ganze hat auch eine materielle Basis. Immer deutlicher bereiten sich die Staaten des globalen Nordes auf ein Szenario der um sich umhergreifenden globalen Krise vor. Der Kapitalismus, der im Norden auch Wohlstand gebracht hat, kann sich nur erhalten und die Krisen, an denen er zusammenbrechen könnte, überwinden, indem er noch stärker auf Ressourcen in einem (unter Anführungszeichen) „Außen“ zugreift: Noch billigere Arbeit, Raubbau an der Natur, Verschiebung auf andere Regionen der Konsequenzen und Kosten der Krise. Nur, irgendwann zieht sich zu sehr der Bogen weg – spätestens, wenn ganze Regionen politisch, ökonomisch und ökologisch unbewohnbar gemacht werden. Menschen machen sich auf den Weg dahin, wohin die Ressourcen, die ihrem Leben hätten dienen können, entführt wurden. Als akkumuliertes Kapital im globalen Norden findet man diese Ressourcen wieder als tatsächlich besseres Leben. Dann heißt es aber für die Arschloch-Gesellschaft bereit zu sein, die eigenen Interessen – koste es, was es wolle – zu verteidigen, in einem Stand verschärfter globaler Konkurrenz. Und es heißt: Den Zugang zu der eigenen Vormachtposition und zum eigenen Reichtum so stark es geht anderen zu verwehren.  Es entsteht ein „Gated Capitalism“. Und hier kommen die neuen Faschisten wieder ins Spiel, mit einem Versprechen: Wenn es bald doch darum gehen soll, jede Humanität und Vernunft über Bord zu werfen, im Namen einer Rationalität des Ausnahmezustands, des „Kampfes aller gegen alle“, des „nach mir“ und genauer „ruhig neben mir“, „die Sintflut“ – dann sind sie das Original. Sie sind an nichts gebunden und werden die Arschlochnummer am konsequentesten durchziehen.   
Neben den langwährenden Gründen – Kriege, Überausbeutung, die damit verbundene politische Instabilität, die sie gerne begleitende Macht von Banden oder extremistisch religiöser Gruppierungen – ist der Klimawandel schon jetzt und immer mehr einer der zentralen Gründe, die zur Flucht zwingen. Klimawandel bedeutet Dürre, extreme Wetterphänomene, allgemein die Zerstörung der Abläufe, über die sich das Leben reproduziert. In einigen Regionen ereignen sich schon jetzt jene Szenarien, die in den düstereren Visionen der Folgen des Klimawandels für die Zukunft vorgesehen sind.  Zum Klimawandel tragen bekanntlich am meisten die wirtschaftlich stärkeren Staaten bei, die direkt bei sich oder indirekt anderswo für die höchsten CO2-Ausstöße verantwortlich sind. Aber auch die „grüne Wende“ wird auf Kosten anderer Regionen ausgetragen. Die Materialien, die dafür nötig sind (etwa sogenannte „seltene Erden“), werden in den global zur Peripherie gemachten Regionen abgebaut. Dafür werden nicht nur ganze Landschaften verwüstet und unbewohnbar gemacht. In vielen Fällen entstehen Kämpfe für diese Ressourcen und nicht selten kommen Milizen und kriminelle Banden ins Spiel, die ganze Regionen in Schrecken versetzen oder sich darum kümmern, dass Menschen sich unter sklavenähnlichen Bedingungen im Abbau betätigen.  Wiederum können sich die Regionen des globalen Nordens stärker vor den Konsequenzen des Klimawandels schützen. Man wird Dämme errichten und die neuentstandenen Wüsten bewässern. Im Notfall wird man schwimmende Städte oder Oasen-Städte bauen. Wer nicht die ökonomischen Mittel hat, Technologien so anzuwenden, ist dann echt am Arsch. Es bleibt dann nur die Möglichkeit der Flucht.  

3. Zoom out, zoom in auf diese Seite der Festung.
Die Zerwürfnisse, die Kapitalismus in einer Gesellschaft hervorbringt, wurden in den Jahrzehnten nach dem Krieg beschwichtigt und integriert, durch einen Klassenkompromiss auf nationaler Ebene. Ein Teil des hier akkumulierten Reichtums diente zur Verbesserung der Lebenslage der Menschen, durch deren Ausbeutung Kapitalvermehrung geht. Gleichzeitig machte man damit die Bevölkerung des Nordens zu globalen Über-Konsument*innen. Ihr Lebensstandard, ihre Lebensweise sollte Waren verbrauchen (oft genug unnötige), um die Kapitalverwertung in Gang zu halten: Ein neues Auto alle 7 Jahre, Billigfleisch, erschwingliche Technologieprodukte. Dass das möglich wurde, hatte auch viel damit zu tun, dass einerseits massiv billige fossile Ressourcen verbraucht wurden (die Eltern des Klimawandels), anderseits viel direkte Aneignung von Ressourcen und Arbeitskraft („Extraktivismus“) aus dem globalen Süden stattfand. Die Nationalstaaten des globalen Nordens organisierten diesen „nationalen Wohlstand“ und legitimierten sich vor ihrer Bevölkerung dadurch. Vor vielfache Krisenphänomene gestellt, scheint dieser Wohlstand gefährdet. Es verbreitet sich das Gefühl, Privilegien zu verlieren – die gleichzeitig für viele ein kleiner Trost sind in einem Alltag von Fremdbestimmung und Unsicherheiten. Und es wird klar, dass diese Art zu Leben (Achtung, nicht zwingend ein komfortables Leben überhaupt, sondern diese Form von Wohlstand) eben davon lebt, dass andere Menschen davon ausgeschlossen sind und in der globalen Arbeitsteilung eine andere Position einnehmen. Wobei auch klar sein muss: Durch Abschottung wird die weitere Ausbeutung der Peripherien des Kapitalismus gesichert, auf die ein Teil der Kompensation der internen Zerwürfnisse im Globalen Norden beruht. Die Erzählung aber, dass hier der Kuchen zu klein ist und „nicht alle zu uns“ kommen können, weil sonst eine Konkurrenz entsteht, ist bullshit. Der Arbeitsmarkt ist hier bereits rassistisch geschichtet – Die Arbeiten im Niedriglohnsektor machen eben jene, die durch den Druck von Aufenthaltsrecht oder Job Center dazu gezwungen werden. Worum es geht, ist eine nationale Vormachtstellung im Zugriff auf diese Welt zu bewahren, und jene fernzuhalten, die die Konsequenzen dafür tragen. Der kapitalistische Nationalstaat bedeutet immer schon eine Aufteilung der Menschheit: Und zwar potentiell gegeneinander. Diese Welt konkurrierender, kapitalistischer Nationalstaaten ist ein infames Unding. Sie rechnet immer mit Ausschluss und Mord, sie macht Menschen überflüssig, verzichtbar. Menschenrechte werden damit einem per se menschenverachtenden Monster anvertraut.  

4. Die nächsten Monate brauchen uns.
Sie brauchen unsere Intelligenz, um das Unmenschliche laut zu benennen und zu zeigen, woher es kommt. Sie brauchen unsere Organisation: wir haben viel zu tun: Abschiebungen verhindern, Gesetzesvorhaben und Umsetzungen in die Quere kommen, Diskursverschiebungen umkehren – und gegen eine brutale Mentalität, gegen die Arschlochwerdung der Gesellschaft handeln. Sie brauchen uns – und wir dürfen uns nicht uns von der gefühlten Ohnmacht und der Übermacht der Verhältnisse in die Verzweiflung oder in den Wahnsinn treiben lassen. Ja, es ist diese ganze Un-Ordnung, die weg muss. Die Forderungen nach Bewegungsfreiheit, nach Bleiberecht – und auch bereits nach humanitärem Schutz! – sind revolutionär. Nimmt man sie ernst, führen sie auf den Weg einer radikalen Gesellschaftveränderung. Lasst uns diese selbst in die Hand nehmen.Lasst uns beraten, lasst uns wieder in Bewegung kommen. Gegen die Barbarei, wie auch immer sie auftritt. 

(1) Während wir diese Zeilen schrieben, äußerte sich ganz ähnlich ein langjähriger Aktivist öffentlich und sprach vom Übergang von der Verdrängungsgesellschaft zur Arschlochgesellschaft: „Die Eopche der Menschheitsgeschichte, in der […] das nationalegoistische, patriarchale Arschloch den neoliberalen Soziopathen als dominantes Subjekt ablöst: die nenne ich das Arschlochozän – the age ofassholes“. (Tadzio Müller)  

KEINE BÜHNE FÜR TÄTER UND IHRE FANS

Zur causa Lindemann –

Als im Mai dieses Jahres die ersten Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen Till Lindemann öffentlich wurden, hat uns das nicht sonderlich gewundert. Es ist nicht das erste Mal, dass bekannt wird, dass Männer in machtvollen Positionen, diese gegenüber FLINTA* ausnutzen. Es ist sehr vorstellbar, den Betroffenen Glauben schenken zu müssen, wenn es sich bei Lindemann um eine Person handelt, die schon lange misogyne und gewalt-verherrlichende Texte und Videos veröffentlicht, sich selbst heroisiert und als rebellischer Mann stilisiert. Es ist die natürliche und in Teilen auch richtige Reaktion, all die Wut und Enttäuschung, über die Miss-Funktion dieser Welt in einen solchen konkreten Fall zu kanalisieren und einfach mal rauszulassen. Es ist gleichzeitig kein Einzelfall, nicht in der Branche und nicht generell. In unser aller Leben sind patriarchale Strukturen omnipräsent: wir erleben sexistisches und Queerfeindliches Verhalten an der Arbeit, in der Uni, in der Familie, in den Medien die wir konsumieren; ja auch in unseren engsten freundschaftlichen und politischen Kreisen und ja auch in uns selbst, wenn wir uns in Konkurrenz fühlen, denken minderwertig zu sein oder andere gedanklich abwerten.
Das heißt aber nicht, dass wir uns an die Scheiße gewöhnt haben und so weiterleben wollen, dass die Causa Lindemann als Fall für sich genommen werden kann; ein Mann der Lindemann kritisiert dadurch zum besseren Mann wird oder die FLINTA*, die ihre Wut hier projizieren wollen, überhaupt daran glauben damit gleich das ganze Patriarchat abschaffen zu können.Es wäre ja tatsächlich schön, wenn die Stimmen der Betroffenen gehört würden.Es wäre ja tatsächlich schön, wenn auf derartige Handlungen auch Konsequenzen folgen würden.Aber nein: Aussagen von FLINTA* werden banalisiert, den jungen Frauen, die Vorwürfe gegen Lindemann und co. erheben nicht geglaubt. Wundert es uns noch?
Ein Exkurs ins Strafrecht:Das Verhältnis der angezeigten zu verurteilten Anzeigen wegen sexuellen Übergriffs stehen in keinerlei Verhältnis zu anderen Kriminalstatistiken. Für eine Verurteilung braucht es einen direkten Zusammenhang zwischen Gewalt und sexueller Handlung, der als solcher natürlich bewiesen werden muss: hier steht häufig Aussage gegen Aussage. Und wie die dauerhafte Gewalt und Unterdrückung nachweisen, wenn sie strukturell in der Gesellschaft verankert ist? Um einen sexuellen Übergriff nach §177 I, II StGB handelt es sich unter anderem nur, wenn eine sexuelle Handlung eindeutig gegen den erkennbaren Willen der betroffenen Person stattgefunden hat. Neben dem Nein heißt Nein Grundsatz, müsse aus der Sicht eines objektiven Beobachters dem „Opfer“ zuzumuten sein, dem entgegenstehenden Willen zum Tatzeitpunkt eindeutig Ausdruck zu verleihen; oder es sich um einen Sachverhalt handeln, bei denen Äußerungen des Gegenwillens unmöglich oder unzumutbar waren.Doch wie werden diese Grundsätze interpretiert und zugunsten von wem wenn es um die Anwendung geht?
Zum einen werden in der gesamten Auseinandersetzung mit der Causa Lindemann der Konsum von Alkohol und anderen Substanzen banalisiert zumindest medial selten in die Beurteilung der Willensbildung der Betroffenen mit aufgenommen. Zum anderen spielt die gewaltvolle psychosoziale Beziehung zwischen Fan und Star anscheinend keine Rolle, „die Frauen hätten sich ja freiwillig in die Situationen begeben“: ABER die Hierarchie zwischen dem reichen, mächtigen Star und den Fans, die diesen Star schon seit Jahren verehren ist besonders groß. Die von den jungen Frauen beschriebenen Begegnungen mit Lindemann ergaben sich recht spontan, sicherlich waren sie geladen von Aufregung und Adrenalin. Sie waren allein mit ihm, er ist groß und kräftig und ihnen körperlich überlegen. Aber auch die geschlechtlich sozialisierte Komponente spielt eine Rolle: im binären Gesellschaftsideal ist die Frau dem Mann untergeordnet und grundsätzlich zum Sexualobjekt reduziert.
Dieses Verhältnis erscheint allen „normal“ und deshalb ist es eher ungewöhnlich die eigenen Grenzen zu kennen und auszuformulieren. Dass Situationen in Teilen erst im Nachhinein hinterfragt werden, hat nichts damit zu tun, dass sich die eigenen Maßstäbe von Gut und Böse willkürlich verschieben, sondern wir begreifen, dass so was eben (the F*ck) nicht normal ist. Und das bedarf leider immer noch sehr viel Mut, auch gegenüber sich selbst.Und so wird am Ende doch eher einem weißen, wohlhabenden Hetero-Cis-Mann geglaubt, als einer von Gewalt betroffenen FLINTA*, die die Vorwürfe nur hervorbringe, um Berühmtheit zu erlangen.Aber sorry aber es handelt sich um den Bericht der tagtäglichen Realität und den von Verzweiflung geprägten Versuchen endlich angehört zu werden. Nein es macht nämlich keinen Spaß von der eigenen Erniedrigung und eigenen Ängsten zu erzählen, ständig darüber nachzudenken und nicht ernst genommen zu werden, wir hätten wirklich besseres zu tun!
Dazu kommen die Fans von Lindemann, die ihn verteidigen und verehren. Till hat für sie diese Position, ein bisschen was rebellisches, aber vor allem strahlt er heteronormativen Sex und Rock’n Roll aus. Damit identifizieren sich in der Regel gerne andere Männer, wollen so sein wie Lindemann, finden was er repräsentiert und präsentiert richtig, fühlen sich in ihren männlichen Identitäten bestätigt. Sie bekommen die Berechtigung dann auch mal wieder so richtig rebellisch und männlich sein zu dürfen. Und dann sind sie deshalb auch in ihrem eigenen kleinen Ego gekränkt, wenn wir Tills Verhalten und somit auch ihre eigene Wahrheit angreifen und sie gespiegelt bekommen, dass wir Männer und Menschen wie sie gar nicht geil finden: ihre sexistische Scheiße ankreiden und delegitimieren!
Es ist wichtig, auf die patriarchalen Verstrickungen des Rechts hinzuweisen, die immer wieder dazu führen, dass betroffenen Frauen nicht geglaubt und Täter nicht verurteilt werden. Es ist daher auch für uns als Feminist*innen notwendig, für Verbesserungen innerhalb des Rechtssystems, für die rechtliche Anerkennung patriarchaler Gewalt bis hin zu Feminiziden zu kämpfen. Es ist wichtig, öffentliche Einrichtungen wie die Halle Münsterland anzuklagen, dafür dass sie Tätern eine Plattform geben. Es ist wichtig, dafür die breite Gesellschaft zu mobilisieren, sei es über Aufklärungsarbeit, Kundgebungen und Petitionen. In einer Welt von rechtlichen und gesellschaftlichen Missständen müssen wir für eine Verbesserung dieser kämpfen.
Zugleich können und wollen wir dabei nicht stehen bleiben. Denn wir wissen, dass wir uns auf staatliche Institutionen, das Recht und die Polizei am Ende nicht verlassen können. Sie werden keine Komplizen in unserem Kampf gegen das Patriarchat sein.Unsere Politik als linksradikale Feminist*innen muss deshalb über Appelle an die Stadtgesellschaft oder den Staat hinausgehen.Unsere Wut darf nicht in Bitten um kleine Verbesserungen oder die Verhinderung des schlimmsten Übels enden.Unsere Wut ist größer – sie richtet sich gegen patriarchale Herrschaft als Ganze, die durch diese Gesellschaft, durch Staat, Recht und Polizei aufrecht zu erhalten versucht wird & unser gesamtes Leben durchdringt.
Deshalb ist es notwendig – und hier appellieren wir nun an euch – dass wir uns als Feminist*innen über diesen Tag hinaus zusammentun. Weil wir wissen, dass Lindemann kein Einzelfall ist, müssen wir das Patriarchat auch an allen anderen Stellen angreifen, an denen es sich zeigt. Es ist gut, dass wir heute in großer Zahl hier gemeinsam stehen. Aber wir müssen uns auch weiterhin organisieren – gegen Gewalt an FLINTA*, gegen Feminizide, gegen die Diskriminierung queerer Menschen, für unser Recht auf sexuelle und körperliche Selbstbestimmung, für eine Welt, in der wir alle frei & selbstbestimmt leben können. Unser gemeinsamer feministischer Kampf ist mit der heutigen Protestaktion nicht vorbei – es gibt noch viel zu viele Till Lindemanns in dieser Welt. Und wir werden nicht aufhören, bis der letzte von ihnen das Maul hält.Deswegen: Bildet Banden, organisiert euch! Für ein Ende der Gewalt – Feuer & Flamme dem Patriarchat!

Things have got to change – Zur Aufgabe einer progressiven Linken nach dem 7.10.

I.
Am 7. Oktober wurde durch den terroristischen Angriff der Hamas das größte Pogrom gegen Jüdinnen*Juden seit der Shoah begangen. Zahllose Menschen wurden gefoltert und ermordet, Shoah-Überlebende verschleppt, Frauen und Mädchen vergewaltigt, Babys vor den Augen ihrer Eltern geköpft. Die Massaker, die die Hamas an diesem Tag verübt hat, markieren eine Zäsur. Sie sollten Jüdinnen*Juden als eben solche treffen.Sie haben die radikalste Verachtung und einen reinen Vernichtungswunsch zum Ausdruck gebracht. Sie sind ein Beispiel dafür, dass Antisemitismus einen eliminatorischen Fluchtpunkt hat – und die Dschihadisten wollten damit genau das zum Ausdruck bringen. Der 7. Oktober sollte das Gefühl der individuellen und kollektiven Sicherheit in der Welt für Jüdinnen*Juden zerstören. Diese Zäsur wurde durch die Ereignisse weltweit verstärkt und multipliziert: Auf den Straßen fanden immense Mobilisierungen statt, die zum Teil die Massaker der Hamas als „Ausbruch aus dem Freiluftgefängnis“ und als Befreiungskampf verherrlichten und – noch bevor die Operationen der israelischen Armee begannen – von einem Genozid sprachen, und damit vor allem das antisemitische Bild blutrünstiger Jüdinnen*Juden zeichnen wollten. Seitdem werden Wohnungen von Jüdinnen*Juden markiert, Jüdinnen*Juden werden offen auf Straßen oder in Universitäten bedroht, Synagogen und Friedhöfe in Brand gesteckt – und so intergenerationale Traumata erweckt. Dies ist nichts Neues. Es zeigt, dass die Opposition gegen Israel meist sehr wenig mit der Kritik an bestimmten Politiken israelischer Regierungen, an dem Handeln rechter israelischer Gruppierungen oder mit dem Interesse für die Lage der Palästinenser*innen zu tun hat – sondern sehr viel mit antisemitischen Affekten, die sich fest in die Ablehnung Israels gegossen haben und dieser Form gegeben haben. Man befindet sich nun in einer Situation, in der man sagen muss: Never Again is Now.Doch scheint dieser Ausruf im luftleeren Raum linker Strukturen weltweit zu verhallen.Denn diese Zäsur erneuert auch für die Linke eine Aufgabe: Was heißt es, im eigenen Begriff von Emanzipation die Realität von Antisemitismus zu bedenken? Was heißt es, Solidarität mit Jüdinnen*Juden in die eigene Praxis einzubauen? Was heißt es, dass beides konkret sein, für die Geschichte Wirklichkeit werden muss?  Und wie kann eine Praxis aussehen, in der wir mit Jüdinnen*Juden weltweit und mit Israel solidarisch stehen? Wie kann diese Praxis dabei deutlich machen, dass ihr das Leid der Palästinenser*innen nicht gleichgültig ist? Dieser Aufgabe muss eine andere Frage vorangehen: Kann sich eine Linke als solche bezeichnen, wenn in ihr faktischer Antisemitismus Standard ist und das reale Leben von Jüdinnen*Juden nichts zählt?   

II.
Wenn zwar viele die Bereitschaft, die Hamas als Teil eines „palästinensischen Befreiungskampfes“ zu betrachten, verurteilten (was selbstverständlich sein sollte!), wurde die Zäsur, die der 7. Oktober bedeutete, und das, was der 7. Oktober überhaupt über den „Nahostkonflikt“ sagt, kaum bedacht. Man ist schnell zur üblichen, ohnehin verzerrten Betrachtung des Konfliktes gegangen: Es ist dann die Rede von einer generischen „Gewaltspirale“, die sich plötzlich materialisiere. Wenn man über Israel-Palästina spricht, solle unbedingt immer jeder Satz in die eine Richtung mit einem Satz in die andere Richtung ausbalanciert werden – doch ist damit gern etwas Anderes gemeint: Israel habe die Reaktion der Hamas selbst provoziert und reagiere nun unverhältnismäßig. Die Rollen werden klar aufgeteilt: Israel sei übermächtig und wolle unterdrücken. Jüdinnen*Juden sind gut – aber nur solange sie sich der Verfolgung stellen.  So muss an erster Stelle festgehalten werden: Die Hamas hat Pogrome gegen Jüdinnen*Juden verübt und wollte es genau so. Die Hamas hat die Eskalation gesucht, auch um die Annäherungen zwischen Israel und mehreren Staaten der arabischen Welt zu sabotieren und um eine weltweite Stimmung gegen Israel zu erzeugen. In diesem Zusammenhang muss Israel an erster Stelle seine Bevölkerung schützen und so handeln, dass die Gefahr durch die Hamas (und den Proxies des iranischen Regimes) behoben wird. Ohnmacht zu wählen, wäre an dieser Stelle falsch: Um der Lebendigen Willen.Das Vorhaben, die Hamas zu neutralisieren und ihre Infrastruktur zu zerschlagen, ist keine Reaktion im Affekt, sondern eine militärische Operation mit der Intention, die Sicherheit der israelischen Bevölkerung zu sichern.  In unvollkommenen Verhältnissen, die selbst eine solche militärische Reaktion nahelegen, heißt das, Abwägungen treffen zu müssen und auch Schuld in Kauf zu nehmen. Doch dass in dieser unvollkommenen Welt militärische Betätigung notwendig ist, um das Existenzrecht Israels zu schützen, bedeutet auch, dass die militärischen Strukturen, die mit dieser Aufgabe betraut sind, nicht unabhängig von den Logiken dieser Welt arbeiten können. Es ist die Aufgabe der IDF, die Armee des Schutzes jüdischen Lebens zu sein (sie ist dabei natürlich nicht davor gefeit, dieselben strukturellen Makel aufzuweisen wie militärische Institutionen in anderen Ländern). Und ihre Aufgabe ist schwierig. Die Hamas kontrolliert den Gazastreifen und bestimmt dort den Alltag; sie versteckt sich und ihre Infrastruktur in unterirdischen Tunneln, die ganz Gaza Stadt zum Schutzschild machen, oder platziert Abschussrampen, Waffenlager, Kommandozentralen in Krankhäusern, Schulen, Wohnhäusern. Es ist das erklärte Ziel der IDF, das, was als „militärische Asymmetrie“ bezeichnet wird, gerade dazu zu nutzen, soweit es geht die zivilen Opfer zu verringern – und ganz offenbar nicht, um einen Genozid an den Palästinenser*innen in Gaza zu verüben (umgekehrt wäre es wohl das erklärte Ziel der Hamas, wenn sie mit äquivalenten technischen Mitteln ausgerüstet wäre, Israel aus der Landkarte zu streichen – was sie ja auch ohne entsprechende Mittel schon versucht). Bodenoperationen, die moderne Armeen normalerweise vermeiden wollen, haben nun die Funktion, so gut es geht, nur Hamas-Strukturen zu treffen.  Mittlerweile sind auch tausende Tote auf palästinensischer Seite zu beklagen. Wenn wir über den gegenwärtigen Konflikt sprechen, ist es unsere Aufgabe, auch palästinensischen Opfern zu gedenken und auf den größtmöglichen Schutz ihres Lebens zu hoffen. Zu bedenken ist dabei, dass es für die Hamas möglich wäre, das Leben von Zivilist*innen nicht aufs Spiel zu setzen. Stattdessen scheint sie die Evakuierungen der Bevölkerung Gazas verhindern zu wollen und versucht sie zum „Martyrium“ zu bewegen. Stattdessen hat sie ganz Gaza-City/Stadt zum Schutzschild für ihre Tunnel und zum Depot ihrer Waffen und ihrer Versorgungsmittel gemacht. Die Bevölkerung des Gazastreifens ist selbst Geisel der Hamas. Minimalste Freiheitsrechte werden hier verwehrt, die Versorgung mit Wasser und Elektrizität nicht ausgebaut, Kinder werden indoktriniert. Free Gaza from Hamas bleibt die Parole. Wir können schlecht die militärischen Taktiken der IDF beurteilen, wissen aber um die strukturellen Gefahren innerhalb militärischer Organisationen. Das ist das Setting, das immer bedacht werden muss, wenn durchaus zu Recht gefragt wird, ob die Vorkehrungen der Armee, zivile Opfer zu vermeiden, effektiv und umsetzbar sind; ob die initiale Sperre der Lieferungen von Wasser und Elektrizität als nicht-militärisches Druckmittel angemessen ist; ob das Aufhalten humanitärer Lieferungen aus Sorge, dass diese in die Hände der Hamas geraten, tragbar ist. Diese Fragen darf man stellen. Sie wurden aber kaum so gestellt, sondern stets als scheinbares Indiz der besonderen Bosheit Israels verwendet.  Dieses Setting zu bedenken, bedeutet nicht, das Leid und die Ausweglosigkeit der Palästinenser*innen in Gaza zu übersehen und liefert auch keine Rechtfertigung dafür, dies nicht zu tun. Die Trauer um die Toten in Folge der Operationen der Israelischen Armee, innerhalb des Krieges der Hamas gegen Israel muss zugelassen werden. 

III.
Auch wird oft gefordert, die gegenwärtige Situation zu kontextualisieren. Schnell ist man bei (bewusst vage gelassenen) Worten wie Besatzung, systematischer Unterdrückung und Siedlerkolonialismus. Dies seien die letzten Ursachen. Bei diesen Argumentationen geht es allerdings häufig nicht um eine Kritik an der Politik Israels in den von Israel militärisch besetzten Gebieten infolge des Versuchs, den einzigen jüdischen Staat 1967 auszulöschen. Es geht auch nicht um eine Kritik an der von rechten Siedler*innen ausgeübten Gewalt oder an der faktischen Diskriminierung gegenüber Palästinenser*innen, sondern es geht um eine Umkehrung der Narration. Der wirkliche Kontext wird dabei selten ernsthaft diskutiert. Denn in der Geschichte dessen, was verharmlosend „Nahostkonflikt“ genannt wird, hat sich immer wieder gezeigt, dass es der Anti-Israel-Seite kaum um die Rechte der Palästinenser*innen und um eine gelungene Gründung eines palästinensischen Staates ging, sondern um die Abschaffung Israels als einziger jüdischer Staat und Zufluchtsort für von Antisemitismus bedrohte Jüdinnen*Juden weltweit. Die arabische Welt – nicht einfach die Palästinenser*innen – weigerte sich 1948, einen palästinensischen Staat zu gründen, weil das die Anerkennung Israels impliziert hätte. 1948, 1967 und 1973 wurde Israel mit dem Versuch mehrerer Armeen arabischer Staaten konfrontiert, den Isreaelischen Staat auszulöschen. Von 1948 bis 1967 waren der Gazastreifen und das Westjordanland jeweils von Ägypten und Jordanien besetzt, ohne dass ein Staat Palästina gegründet wurde – stattdessen wurden zwei Intifada-Wellen losgetreten.  Der Gründung eines eigenen palästinensischen Staates stand die Weigerung einer Anerkennung Israels immer wieder entgegen.  Dabei müssen auch die Verhinderungen einer Lösung auf Seiten israelischer Politik und die nachvollziehbaren Interessen und Anliegen von Palästinenser*innen bedacht werden. Allerdings gab es zu keinem Zeitpunkt einen real zum Frieden entschiedenen Verhandlungspartner auf offizieller Seite. Aktuell – während immer mehr ehemalige befeindete Staaten Frieden mit Israel schließen – wird das in seiner Wesensbestimmung vernichtungsantisemitische iranische Regime zum Hauptsponsor des terroristischen Krieges gegen Israel, und durch die Zäsur des 7. Oktobers wird die Frage nach der Ätiologie des Konfliktes zweitrangig: Was jetzt zählt, ist der unbedingte Schutz der Existenz Israels. Der Weg der Friedensabkommen mit arabischen Staaten ist indessen als entscheidender Schritt für einen möglichen Frieden zu schätzen.  Auch hier gilt also: das ist das Setting, das zu bedenken ist, wenn dann mit vollem Recht Anderes angesprochen wird. Und das kann getan werden: Israel hat aktuell eine Regierung, an der auch rechtsextreme beteiligt sind, die aus einer Minderheitsposition Vieles bestimmen, unmögliche Positionen verbreiten und die Gewalt rechter Siedler*innen befürworten und unterstützen. Aus dieser Ecke kommen auch rassistische und zum Teil genozidale Äußerungen hervor: Diese begründen aber keineswegs das Vorgehen der Israelischen Armee. Die Gewalt rechter Siedler*innen ist ein massives Problem und wird von den Sicherheitsbehörden zu wenig verfolgt. Nicht zuletzt die Verschiebung der Tätigkeiten der IDF in die Westbank im Zusammenhang mit dem Schutz der Siedler*innen und der Bewältigung der Reaktionen auf deren Gewalt hat die Lücke eröffnet, die die Hamas im Süden ausgenutzt hat. Das heißt auch: Das Handeln der gegenwärtigen Regierung kompromittiert an erster Stelle sensibel die Funktion Israels, als Schutzraum für alle Jüdinnen*Juden zu wirken und als Raum, in dem die vielfältigen Weisen, jüdisch zu sein, sich entfalten können – als demokratischer Rechtsstaat. Sie paktiert mit einer Vorstellung von Israel, die wesentliche Einsichten des Zionismus als Emanzipationsbewegung torpediert und selbst im Widerspruch steht zu vielen anderen jüdischen Vorstellungen dessen, wie Israel aussehen soll.  

IV.
Schockierend, wenn auch nicht überraschend, waren vor diesem Hintergrund die Reaktionen in vielen Teilen der Welt, insbesondere in linken Zusammenhängen.  Viel zu viele Kundgebungen, Aktivist*innen und Organisationen haben die Massaker der Hamas gefeiert und zum Teil des „Befreiungskampfes“ erklärt – auch in Münster. Deutsche und internationale Linke solidarisierten oder rechtfertigten die Aktionen einer faschistischen, islamistischen, misogynen, queerfeindlichen Gruppierung. Und auch dort, wo es Distanzierungen von der Hamas gab, aber weiterhin die Vernichtung Israels intendiert wird, ist man deren Zielen nicht fern. Die Parole „From the river tot he sea – Palestine will be free“ bekam die Klarheit, die schon immer gemeint war – den vermeintlichen Befreiungskämpfer*innen geht es meistens um die Rückgängigmachung der Staatsgründung Israels.Für einen guten Teil der Linken weltweit wird die „Palästinensische Sache“ zum Symbol für jeden Befreiungskampf gemacht und nimmt eine Stellvertreterfunktion an, die kaum erklärbar ist, und die automatisch, reflexhaft abgerufen wird. Kufiya und Palästinafahne sind in vielen Ländern das Zeichen der radikalen Linken schlechthin. Die Identifikation damit wird zum entscheidenden Identitätsmarker, zum Zeichen besonderer Radikalität und Entschlossenheit und zum Zugehörigkeitstest. Wer diesen nicht besteht, gehöre bekämpft, ausgeschlossen  oder wird zur Inkarnation der Reaktion gemacht. Diese vermeintliche „Palästinasolidarität“ ist oft mitunter verschwörungstheoretisch aufgebaut: Ohne geschichtliches Bewusstsein, nicht faktenbasiert, dafür reich an den erkennbarsten antisemitischen Framings. Sie dient zur Selbstmobilisierung und Selbstbestätigung. Das heißt im Klartext: Teile der Linken sind Kompliz*innen einer erneuten Pogromstimmung, völlig ohne ein Gefühl für die Situation und die Anliegen von Jüdinnen*Juden zu haben. Tatsächlich sind sie auch nicht interessiert an der Lage der Palästinenser*innen oder an echten Lösungen, in denen Palästinenser*innen nicht als Vorhut des Kampfes gegen Israel vorkommen. Vergebens hat man nach Demonstrationen gesucht, die die Proteste der Bevölkerung Gazas gegen die Hamas vor einigen Monaten unterstützten oder ähnlich große Mobilisierungen gegen die Hunderttausenden Tote im Jemen, in Syrien oder ganz akut der Vertreibung von Millionen von Afghan*innen aus Pakistan: das ist kein Whataboutism, sondern ein notwendiger Vergleich, um die Irrationalität der Argumentation herauszustellen. Noch verzweifelter hat man in den letzten Wochen nach pro-palästinensisch auftretenden Demonstrationen gegen die Hamas gesucht, gegen deren Unterdrückung und Instrumentalisierung bis hin zum Mord an der Bevölkerung Gazas. Abgrenzungen gegen Islamist*innen kamen selten oder spät: Warum? Die Kritik an dem häufig auftretenden Antisemitismus wurde immer wieder abgewehrt, zum Teil mit selbst antisemitischen Argumentationen – so etwa die Rede davon, dass Antisemitismuskritik Ausdruck einer „German Guilt“ sei, die nicht auf die Welt zu übertragen sei und die ganz die Logik des Schlusstrichs und der Relativierung der Singularität der Shoah führt. Gleichzeitig kritisieren wir aufs schärfste die Tatsache, dass Akteure, die sich nie ernsthaft der Antisemitismusbekämpfung gewidmet haben, die mit Antisemiten koalieren (CSU mit Aiwanger) oder in ihrem Herzen mit diesen koalieren wollen (Merz mit AfD), die Gedenken wenn überhaupt ritualisiert und als Moment der Wiedergutwerdung der Deutschen praktizieren, nun den Kampf gegen Antisemitismus als Mittel für rassistische und migrationsfeindliche Politik nutzen – und gleichzeitig linksliberale Parteien mit auf diesen beschämenden Zug aufspringen. Wenn es stimmt, dass Antisemitismus unterschiedlich in diversen Zusammenhängen auftritt und auch entsprechend adressiert werden soll, ist es eine reine Abwehr der eigenen Schuld, von „importiertem Antisemitismus“ zu sprechen. Deutsche haben genug Antisemitismus bei sich und haben sich eifrig als Exporteure von Antisemitismus betätigt – insbesondere in arabische Länder (und damit selbst einige der Ausgangslagen des „Nahostkonflikts“ bestimmt). Die Forderungen nach Abschiebungen sind unmenschlich, selbst rechtlich mehr als fragwürdig, weil diskriminierend, und sie sind keine Lösung: Antisemit*innen bleiben auch anderswo eine Bedrohung. Vor allem zeigen diese Forderungen, dass es diesen Parteien eben nicht um Jüdinnen*Juden geht, sondern um „unser Land“ (BILD, 6.11.2023), sprich: um rassistische Politik. Diese Diskurse verhindern effektive Antisemitismusbekämpfung, instrumentalisieren die Notlage von Jüdinnen*Juden in Deutschland, dienen lediglich und bewusst einer migrationsfeindlichen und muslim*innenfeindlichen Stimmung. Auch muss klargestellt werden: die polizeilichen Maßnahmen zur Verhinderung antisemitischer Bekundungen dürfen nicht den Ausdruck des Leids von Palästinenser*innen pauschal unter Verdacht stellen und verhindern. Noch weniger darf rassistische Polizeigewalt direkt oder indirekt legitimiert werden.  

V.
Wir stehen weiterhin dazu: Der effektive Kampf gegen Antisemitismus gehört zu den Standards linker Politik und muss auf seine spezifische Weise geführt werden. Die akute Notlage Israels in dieser unvollkommenen Welt muss dabei stets mitbedacht werden. Die Lösung kann nicht einfach auf die befreite Gesellschaft vertagt werden. Das bedeutet, dass Israel ein antifaschistisches Anliegen bleibt und innerhalb der gegebenen Verhältnisse notwendig ist. In einer Welt, in der es Antisemitismus gibt und die sich weiterhin als Welt von Staaten und Nationen strukturiert, ist ein Staat, in dem garantiert wird, dass Jüdinnen*Juden nicht von der Gunst anderer abhängig sind und sich selbstverteidigen können, die einzige Garantie für den Notfall. Denn Antisemitismus kann in seiner wahnhaften Funktionsweise immer und überall auftauchen und zuschlagen und hat immer einen eliminatorischen Fluchtpunkt, der die Auslöschung jüdischen Lebens zum notwendigen Schritt für das Ende allen Übels imaginiert. In einer Welt, in der Gesellschaft nicht als freie Assoziation gestaltet wird, ist ein jüdischer Staat die Garantie, dass wenigstens dort Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden leben können, so wie sie leben möchten. Dafür muss Israel auch sicher sein können.Wie jedes emanzipatorische Anliegen bleibt auch Israel umkämpft, kritisierbar und dem Risiko ausgesetzt, sich selbst zu verfehlen. Das aber weiß an erster Stelle die israelische Bevölkerung selbst, die seit Monaten Proteste führt, wie man sie sich hierzulande kaum vorstellen könnte.Deshalb stehen wir solidarisch an der Seite der Jüdinnen*Juden, aller Israelis und Israels in seiner historischen Aufgabe. Wir trauern um die israelischen und palästinensichen Opfer. Wir verurteilen die gewaltvollen antisemitischen, misogynen und queerfeindlichen Taten, die unfassbares Leid über Jüdinnen*Juden nicht nur in Israel, sondern weltweit gebracht haben, und stehen an der Seite Israels. Wir stehen auch solidarisch mit den Menschen in Gaza, die sich einer auswegslosen Situation ausgesetzt sehen und unter den Folgen des islamistischen Terrorregimes und des andauernden Konfliktes leiden. 

„Well, the neighborhood bully, he’s just one man
his enemies say he’s on their land
They got him outnumbered about a million to one
He got no place to escape to, no place to run
He’s the neighborhood bully.
The neighborhood bully he just lives to survive
He’s criticized and condemned for being alive
He’s not supposed to fight back, he’s supposed to have thick skin
He’s supposed to lay down and die when his door is kicked in
He’s the neighborhood bully…
Well, he knocked out a lynch mob, he was criticized
Old women condemned him, said he should apologize
Then he destroyed a bomb factory, nobody was glad
The bombs were meant for him.
He was supposed to feel bad
He’s the neighborhood bully.
Well, the chances are against it, and the odds are slim
That he’ll live by the rules that the world makes for him‚
Cause there’s a noose at his neck and a gun at his back
And a license to kill him is given out to every maniac
He’s the neighborhood bully…
Well, he’s surrounded by pacifists who all want peace
They pray for it nightly that the bloodshed must cease
Now, they wouldn’t hurt a fly.
To hurt one they would weep
They lay and they wait for this bully to fall asleep
He’s the neighborhood bully“.