KEINE BÜHNE FÜR TÄTER UND IHRE FANS

Zur causa Lindemann –

Als im Mai dieses Jahres die ersten Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen Till Lindemann öffentlich wurden, hat uns das nicht sonderlich gewundert. Es ist nicht das erste Mal, dass bekannt wird, dass Männer in machtvollen Positionen, diese gegenüber FLINTA* ausnutzen. Es ist sehr vorstellbar, den Betroffenen Glauben schenken zu müssen, wenn es sich bei Lindemann um eine Person handelt, die schon lange misogyne und gewalt-verherrlichende Texte und Videos veröffentlicht, sich selbst heroisiert und als rebellischer Mann stilisiert. Es ist die natürliche und in Teilen auch richtige Reaktion, all die Wut und Enttäuschung, über die Miss-Funktion dieser Welt in einen solchen konkreten Fall zu kanalisieren und einfach mal rauszulassen. Es ist gleichzeitig kein Einzelfall, nicht in der Branche und nicht generell. In unser aller Leben sind patriarchale Strukturen omnipräsent: wir erleben sexistisches und Queerfeindliches Verhalten an der Arbeit, in der Uni, in der Familie, in den Medien die wir konsumieren; ja auch in unseren engsten freundschaftlichen und politischen Kreisen und ja auch in uns selbst, wenn wir uns in Konkurrenz fühlen, denken minderwertig zu sein oder andere gedanklich abwerten.
Das heißt aber nicht, dass wir uns an die Scheiße gewöhnt haben und so weiterleben wollen, dass die Causa Lindemann als Fall für sich genommen werden kann; ein Mann der Lindemann kritisiert dadurch zum besseren Mann wird oder die FLINTA*, die ihre Wut hier projizieren wollen, überhaupt daran glauben damit gleich das ganze Patriarchat abschaffen zu können.Es wäre ja tatsächlich schön, wenn die Stimmen der Betroffenen gehört würden.Es wäre ja tatsächlich schön, wenn auf derartige Handlungen auch Konsequenzen folgen würden.Aber nein: Aussagen von FLINTA* werden banalisiert, den jungen Frauen, die Vorwürfe gegen Lindemann und co. erheben nicht geglaubt. Wundert es uns noch?
Ein Exkurs ins Strafrecht:Das Verhältnis der angezeigten zu verurteilten Anzeigen wegen sexuellen Übergriffs stehen in keinerlei Verhältnis zu anderen Kriminalstatistiken. Für eine Verurteilung braucht es einen direkten Zusammenhang zwischen Gewalt und sexueller Handlung, der als solcher natürlich bewiesen werden muss: hier steht häufig Aussage gegen Aussage. Und wie die dauerhafte Gewalt und Unterdrückung nachweisen, wenn sie strukturell in der Gesellschaft verankert ist? Um einen sexuellen Übergriff nach §177 I, II StGB handelt es sich unter anderem nur, wenn eine sexuelle Handlung eindeutig gegen den erkennbaren Willen der betroffenen Person stattgefunden hat. Neben dem Nein heißt Nein Grundsatz, müsse aus der Sicht eines objektiven Beobachters dem „Opfer“ zuzumuten sein, dem entgegenstehenden Willen zum Tatzeitpunkt eindeutig Ausdruck zu verleihen; oder es sich um einen Sachverhalt handeln, bei denen Äußerungen des Gegenwillens unmöglich oder unzumutbar waren.Doch wie werden diese Grundsätze interpretiert und zugunsten von wem wenn es um die Anwendung geht?
Zum einen werden in der gesamten Auseinandersetzung mit der Causa Lindemann der Konsum von Alkohol und anderen Substanzen banalisiert zumindest medial selten in die Beurteilung der Willensbildung der Betroffenen mit aufgenommen. Zum anderen spielt die gewaltvolle psychosoziale Beziehung zwischen Fan und Star anscheinend keine Rolle, „die Frauen hätten sich ja freiwillig in die Situationen begeben“: ABER die Hierarchie zwischen dem reichen, mächtigen Star und den Fans, die diesen Star schon seit Jahren verehren ist besonders groß. Die von den jungen Frauen beschriebenen Begegnungen mit Lindemann ergaben sich recht spontan, sicherlich waren sie geladen von Aufregung und Adrenalin. Sie waren allein mit ihm, er ist groß und kräftig und ihnen körperlich überlegen. Aber auch die geschlechtlich sozialisierte Komponente spielt eine Rolle: im binären Gesellschaftsideal ist die Frau dem Mann untergeordnet und grundsätzlich zum Sexualobjekt reduziert.
Dieses Verhältnis erscheint allen „normal“ und deshalb ist es eher ungewöhnlich die eigenen Grenzen zu kennen und auszuformulieren. Dass Situationen in Teilen erst im Nachhinein hinterfragt werden, hat nichts damit zu tun, dass sich die eigenen Maßstäbe von Gut und Böse willkürlich verschieben, sondern wir begreifen, dass so was eben (the F*ck) nicht normal ist. Und das bedarf leider immer noch sehr viel Mut, auch gegenüber sich selbst.Und so wird am Ende doch eher einem weißen, wohlhabenden Hetero-Cis-Mann geglaubt, als einer von Gewalt betroffenen FLINTA*, die die Vorwürfe nur hervorbringe, um Berühmtheit zu erlangen.Aber sorry aber es handelt sich um den Bericht der tagtäglichen Realität und den von Verzweiflung geprägten Versuchen endlich angehört zu werden. Nein es macht nämlich keinen Spaß von der eigenen Erniedrigung und eigenen Ängsten zu erzählen, ständig darüber nachzudenken und nicht ernst genommen zu werden, wir hätten wirklich besseres zu tun!
Dazu kommen die Fans von Lindemann, die ihn verteidigen und verehren. Till hat für sie diese Position, ein bisschen was rebellisches, aber vor allem strahlt er heteronormativen Sex und Rock’n Roll aus. Damit identifizieren sich in der Regel gerne andere Männer, wollen so sein wie Lindemann, finden was er repräsentiert und präsentiert richtig, fühlen sich in ihren männlichen Identitäten bestätigt. Sie bekommen die Berechtigung dann auch mal wieder so richtig rebellisch und männlich sein zu dürfen. Und dann sind sie deshalb auch in ihrem eigenen kleinen Ego gekränkt, wenn wir Tills Verhalten und somit auch ihre eigene Wahrheit angreifen und sie gespiegelt bekommen, dass wir Männer und Menschen wie sie gar nicht geil finden: ihre sexistische Scheiße ankreiden und delegitimieren!
Es ist wichtig, auf die patriarchalen Verstrickungen des Rechts hinzuweisen, die immer wieder dazu führen, dass betroffenen Frauen nicht geglaubt und Täter nicht verurteilt werden. Es ist daher auch für uns als Feminist*innen notwendig, für Verbesserungen innerhalb des Rechtssystems, für die rechtliche Anerkennung patriarchaler Gewalt bis hin zu Feminiziden zu kämpfen. Es ist wichtig, öffentliche Einrichtungen wie die Halle Münsterland anzuklagen, dafür dass sie Tätern eine Plattform geben. Es ist wichtig, dafür die breite Gesellschaft zu mobilisieren, sei es über Aufklärungsarbeit, Kundgebungen und Petitionen. In einer Welt von rechtlichen und gesellschaftlichen Missständen müssen wir für eine Verbesserung dieser kämpfen.
Zugleich können und wollen wir dabei nicht stehen bleiben. Denn wir wissen, dass wir uns auf staatliche Institutionen, das Recht und die Polizei am Ende nicht verlassen können. Sie werden keine Komplizen in unserem Kampf gegen das Patriarchat sein.Unsere Politik als linksradikale Feminist*innen muss deshalb über Appelle an die Stadtgesellschaft oder den Staat hinausgehen.Unsere Wut darf nicht in Bitten um kleine Verbesserungen oder die Verhinderung des schlimmsten Übels enden.Unsere Wut ist größer – sie richtet sich gegen patriarchale Herrschaft als Ganze, die durch diese Gesellschaft, durch Staat, Recht und Polizei aufrecht zu erhalten versucht wird & unser gesamtes Leben durchdringt.
Deshalb ist es notwendig – und hier appellieren wir nun an euch – dass wir uns als Feminist*innen über diesen Tag hinaus zusammentun. Weil wir wissen, dass Lindemann kein Einzelfall ist, müssen wir das Patriarchat auch an allen anderen Stellen angreifen, an denen es sich zeigt. Es ist gut, dass wir heute in großer Zahl hier gemeinsam stehen. Aber wir müssen uns auch weiterhin organisieren – gegen Gewalt an FLINTA*, gegen Feminizide, gegen die Diskriminierung queerer Menschen, für unser Recht auf sexuelle und körperliche Selbstbestimmung, für eine Welt, in der wir alle frei & selbstbestimmt leben können. Unser gemeinsamer feministischer Kampf ist mit der heutigen Protestaktion nicht vorbei – es gibt noch viel zu viele Till Lindemanns in dieser Welt. Und wir werden nicht aufhören, bis der letzte von ihnen das Maul hält.Deswegen: Bildet Banden, organisiert euch! Für ein Ende der Gewalt – Feuer & Flamme dem Patriarchat!