Redebeitrag 8. März 2022 – Das Sterben hat System

Auf den Intensivstationen der Krankenhäuser sterben Menschen – Alte, Junge, Kranke – und Pflegende. Sie sterben allein und sie sterben verzweifelt. Ihre Körper sind geschunden, verletzt und müde. Die Pflege dient dabei schon lange nicht mehr als umsorgender, wohlwollender Ort des Miteinanders, an dem sich sowohl Hilfesuchende als auch Pflegepersonal gut aufgehoben fühlen. Der Pflegesektor ist zu einem Ort geworden, an dem das Kapital regiert, an dem die Profitsteigerung das erste und letzte Interesse ist.

Ein Ort, an dem Personalmangel und Unterbezahlung dafür sorgen, dass wir alleine auf diese Welt kommen und alleine von ihr gehen: Pflegende müssen nachts über Kontrollmonitore mit ansehen, wie Menschen, die jetzt leben könnten, sterben müssen. Familien und Angehörige müssen durch Fensterscheiben oder Zäune mit ansehen, wie Menschen, die sie jetzt lieben könnten, sterben müssen.

Aber dieses Sterben ist gewollt, das Sterben hat System! Und dieses systematische Sterben und Sterbenlassen lohnen sich! Ausgebeutete Körper, billige Arbeitsmaterialien und tote Menschen lohnen sich – denn die Pflegebranche ist ein profitabler Markt: Internationale Konzerne und Finanzinvestoren machen mit Pflegeheimen mittlerweile ein Milliardengeschäft. In Deutschland sind bereits mehr als 45 Prozent aller Pflegeeinrichtungen in der Hand privater Unternehmen. Sind sie nicht privatisiert, fehlt auf staatlicher Seite scheinbar an allen Ecken und Enden das Geld. Aber 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, die werden mal eben so aus dem Hut gezaubert. Das macht uns fassungslos!

Und nicht nur Kranke leiden unter dieser anonymisierten Welt – auch das Pflegepersonal hat durch Lohnkürzungen, Fachkräftemangel oder die Verhinderung von Betriebsratsgründungen nur sehr wenig zu lachen. Und auch sie würden sich – neben mehr Lohn und Brot – sicherlich über etwas Nähe und Würde freuen – und sei es nur etwas Zeit für das Händehalten eines Sterbenden. Stattdessen liegen sie nachts wach und verzweifeln an der Unmöglichkeit, sich nicht für die überbelegten Stationen vierteilen zu können. Verantwortung wird hier individualisiert und auf Einzelne abgewälzt. Frei nach dem Motto: Wer pflegt, verliert.

Ca. 80% des Personals in Pflegeeinrichtungen sind Frauen. Doch Pflege findet nicht nur in Einrichtungen statt, sondern zum Großteil im Privaten. Stehen Ehefrau, Tochter oder Schwester nicht bereit, Angehörige unbezahlt zuhause zu pflegen, wird die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung international erweitert. Frauen aus Rumänien, Bulgarien oder Polen werden für Hungerlöhne nach Deutschland geholt – Rassismus und Patriarchat gehen hier Hand in Hand. Frauen und Queers werden in die Rolle der Sorgenden gezwungen, um das System am Laufen zu halten.

Der Tod ist die Zuspitzung des Falschen, in dem wir leben: er scheint unausweichlich als logische Konsequenz eines Scheißsystems, das scheinbar nun mal so ist wie es ist – und daran solle auch bitte nicht gerüttelt werden.

Nennen wir es beim Namen: Dieses Scheißsystem heißt Kapitalismus! Und wir werden verdammt noch mal daran rütteln und es niederreißen! Denn der Kapitalismus zerstört unsere Körper, er verleibt sich unsere Leben und unseren Alltag ein – wir arbeiten, um zu leben. Oder leben wir, um zu arbeiten?! Der Mensch wird zugerichtet zur Ware Arbeitskraft. Mehr sollen, mehr dürfen wir nicht sein?!

Als kommunistische Gruppe kämpfen wir für das Sein eines jeden einzelnen Menschen. Für das Sein in einer befreiten Gesellschaft, die jeden einzelnen und jede einzelne von uns sieht. In der wir sein dürfen, wie wir wollen. Ohne Zurichtung, ohne Vereinzelung, ohne Tod als letzte Drohung oder Erpressung. Wir kämpfen für die befreite Gesellschaft, in der Sorge- und Reproduktionsarbeit eine kollektive geworden ist – losgelöst von Profit- oder Kapitalinteressen, angetrieben von Gemeinschaftlichkeit im Miteinander. In der befreiten Gesellschaft ist Sorgearbeit nicht patriarchal-hierarchisch organisiert und verteilt, treibt nicht anonymisiert die Vereinzelung voran, sondern wird vor allem gleichermaßen solidarisch organisiert und umgesetzt.

Dabei muss sowohl die traditionelle, bürgerliche Kleinfamilie, in der Frauen immer noch ganz selbstverständlich unbezahlte, unsichtbare Sorgearbeit leisten, als auch der profitorientierte Pflegesektor als frauenfeindliche Systeme aufgezeigt, kritisiert und schlussendlich abgeschafft werden.

Das Patriarchat – das sind nicht nur Macker in unseren eigenen Reihen. Das Patriarchat sind nicht nur unsere Arbeitgeber, unsere Familien, unsere Partner, das Patriarchat – das sind wir alle!

Das Patriarchat steckt im kapitalistischen System und dieses ganze Scheißsystem ist falsch! Darum müssen wir uns zusammentun, um das Patriarchat in unserer Gesellschaft zu erkennen, es anzugreifen und gemeinsam zu stürzen!

Wenn sich in diesem Frühjahr Pflegende am UKM und in ganz NRW organisieren um für bessere Arbeitsbedingungen, Entlastung und mehr Personal zu kämpfen, stehen wir solidarisch an ihrer Seite.

Wir rufen euch auf: Organisiert euch! Bildet Banden! Seid vernünftig und tut Unverünftiges! Verbindet eure Kämpfe – ob Klima, Krankenhaus oder Kapital: unsere Natur, unsere Körper und unsere Arbeitskraft werden alle gleichermaßen ausgebeutet! Darum muss es spätestens jetzt heißen: Feminismus ist Klassenkampf! Alerta antifascista e feminista!