Ja, Israel. Darum. Eine kleine Handreichung.

Grundsätzliches zu Antisemitismus und Israel

Im Folgenden sollen einige Erklärungen geliefert werden, wie und warum eine kommunistische Linke, zu deren Kritik immer auch an zentraler Stelle Staatskritik gehört sowie die Abschaffung von Herrschaft unbedingte Solidarität mit Israel nicht nur aussprechen kann, sondern muss. 

Kurz: Israel wird zumindest als bürgerliches Instrument des Selbstschutzes der Juden*Jüdinnen bejaht, angesichts einer Welt, in der sich Antisemitismus immer und immer wieder manifestiert und immer tödlich enden kann. So wie der Antisemitismus einzigartig in seinen Gründen und Wirkungsweisen ist, so ist auch Israel eine Ausnahme unter den Staaten und bis zur Abschaffung von Antisemitismus eine Notwendigkeit!

Eine Linke muss deshalb unbedingt solidarisch mit dem Staat Israel sein. Solidarität hängt dabei nicht von der Tagespolitik und auch nicht von der politischen Ausprägung des Staates ab, wie im Folgenden verdeutlicht werden soll. 

 

I.                   Zum Begriff des Antisemitismus 

1.      „Wenn es den Juden nicht gäbe, würde ihn der Antisemit erfinden.“

Eine Definition von Antisemitismus ist nicht ohne weiteres möglich, da das Phänomen vielfältige Erscheinungsformen aufweist, anpassungsfähig ist und, als Ausdruck von Irrationalität, nicht ohne weiteres auf einen Begriff gebracht werden kann. 

Allerdings lassen sich wiederkehrende Muster und Funktionen erkennen.

Man könnte sagen: Antisemitismus ist eine negative Einstellung, die sich gegen Juden und Jüdinnen richtet. Dabei ist wichtig festzustellen, dass weder das Judentum noch das Verhalten von Juden*Jüdinnen konstitutiv ist für antisemitischen Ressentiments, sondern das imaginierte Bild des angeblich „Jüdischen“- trifft aber die ganz realen Juden*Jüdinnen. 

Antisemitismus funktioniert als eine Welterklärung, die in der Gedanken- und Affektwelt der Antisemiten fußt und die die Fähigkeit hat, widersprüchliche Momente zusammenzuhalten und gleichzeitig aufgrund seiner Struktur selbsterfüllend ist: „Existiere der Jude nicht, der Antisemit würde ihn erfinden“ (Sartre). 

Anmerkung: (Sucht man dennoch nach einem Grund, weshalb immer wieder in der Geschichte gerade Juden*Jüdinnen zum prädestinierten Gegenstand derartiger Projektionen und zum Opfer eines absoluten Hasses gemacht wurden, könnte es vielleicht darin gefunden werden, dass das Judentum den Opfercharakter der bisherigen Gesellschaften denunziert und damit das Misslingen von Zivilisation und Universalität; gleichzeitig verweigert sich das Judentum der Regression ins Mythische, die immer wieder Gesellschaften heimsucht. Juden*Jüdinnen stehen damit als „schlechtes Gewissen“ der Zivilisation dar – das stillgelegt werden muss.  Gerade weil das Judentum in die Aufgabe der Vermittlung betont, macht es zum einen das Ausbleiben einer gelungenen Vermittlung des Realen (von Partikulares und Allgemeines, von Natur und Gesellschaft, von Bedingtheit und Freiheit, von Konkretem und Abstraktem) sichtbar und weist auf die Unzulänglichkeit von vermeintliche Lösungen die, die Widersprüche durch die Parteinahme für die eine Seite zu überwinden trachten. So werden Juden und Jüdinnen auch Gegenstand entgegengesetzter Zuschreibungen: Mal sind sie zu materiell, der geistigen Erhebung unfähig – mal sind sie zu Geistig, abstrakt, Wurzellos. Es bleibt: Antisemitismus ist ein pathischer Umgang mit den Konsequenzen scheiternder Emanzipation). 

Daraus folgt zum einen, dass Antisemitismus aufklärungsresistent ist, sondern sich auch einer Erklärung und deutlichen Definition entzieht. Daraus folgt zum anderen: Antisemitismus lässt sich nicht durch ein bestimmtes Handeln der Juden*Jüdinnen lösen, sondern nur durch die Überwindung von Antisemitismus. Juden*Jüdinnen steht nur die Möglichkeit offen, die Abwehr der Konsequenzen des Antisemitismus zu organisieren – oder die Folgen des Antisemitismus hinzunehmen. Tertium non datur. 

2.      Antisemitismus fällt nicht vom Himmel. Antisemitismus und bürgerliche Gesellschaft 

Antisemitismus ist von einer materialistischen Kritik auch immer als die umfassende soziale Pathologie bürgerlicher Gesellschaft und als eminentes Produkt von Herrschaftsverhältnisse (also, den Inbegriff von Irrationalem) überhaupt zu betrachten. Antisemitismus ist dabei die stärkste Ausprägung des „notwendig falschen Bewusstseins“ bürgerlicher Gesellschaft, ihre synthetische Ideologie, aber auch wesentlicher (wenn auch nicht immer expliziter) Moment der unzureichenden oder verdrehten Versuche, die gegebenen Herrschaftsverhältnisse zu begreifen und zu überwinden. Im Antisemitismus bricht die Widersprüchlichkeit bürgerlicher Vergesellschaftung als offener Wahn heraus. 

Auf der Grundlage einer materialistischen Gesellschafts- und Ideologiekritik lassen sich mehrere ineinander verflochtene Motive ausmachen, die das Verhältnis zwischen der bürgerlichen Moderne und Antisemitismus kennzeichnen. Folgende Darstellung soll dabei einen Überblick über die wichtigsten geben.  

FetischEin erster Aspekt bürgerlich-kapitalistischer Vergesellschaftung ist ihr ‚Fetischcharakter‘: Von Menschen gemachte Verhältnisse treten den Menschen als ihnen Äußeres und sie Beherrschendes gegenüber, dem die Menschen ohnmächtig ausgeliefert scheinen. Gleichzeitig scheint alles, was die Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft tun als freie Entscheidung. Das ist falsch. Tatsächlich sind die Entscheidungen der Einzelnen von den gesellschaftlichen Verhältnissen mitgeprägt. Sie bestimmen den Rahmen und prägen maßgeblich das Bewusstsein der Einzelnen, das wiederum zur Grundlage der Entscheidungen wird.

Hierin zeigt sich die Herrschaft des Kapitals, die den Menschen als von einzelnen Individuen unabhängiger Prozess der ständigen Wertmaximierung und des Effizienterwerdens in Erscheinung tritt. Was denn jetzt, sind wir nun ohnmächtig oder frei in unseren Entscheidungen? Genau darin liegt der Widerspruch moderner Gesellschaften: Man wird als eigenmächtig handelndes Individuum in Anspruch genommen, erfährt sich dabei aber immer wieder als ohnmächtig. Die Rechnung geht nicht auf. Sofern das Kapitalverhältnis nicht begriffen ist, wird nach einer im Hintergrund wirkenden Macht gesucht, die für die herrschenden Verhältnisse verantwortlich gemacht wird. Genau als diese verborgene Macht wägt der Antisemit die Juden*Jüdinnen.

Das Problem: Etwas Widersprüchliches zu begreifen ist ein Ding der Unmöglichkeit. Das einzig mögliche Verhalten zu den gesellschaftlichen Verhältnissen ist deshalb dessen permanente Kritik und schließlich ihre Abschaffung selbst. 

Abstraktion. Kapitalistische Wirtschaft und bürgerliche Gesellschaft lösten die unmittelbaren Abhängigkeiten der feudalen Gesellschaft ab, die von Leibeigenschaft, Lehenswesen und Erbmonarchien geprägt waren. Es ist deshalb ignorant und naiv, die emanzipatorischen Momente in dieser Entwicklung zu leugnen. Doch verbindet sich die Loslösung von der direkten Herrschaft im Kapitalismus eben mit jener Einverleibung von allem und jedem*r im Prozess des Kapitals selbst. 

Die Emanzipation bleibt unvollkommen: Menschen sind dem Zwang zur Arbeit unterworfen, während die Furcht vor dem täglichen Konkurrenzkampf im Wertvermehrungsprozess internalisiert wird. Zählt doch die bestimmte, konkrete Arbeit des Einzelnen nur in dem Maße, in dem sie einen Tauschwert erzeugt, kurz sich verkaufen lässt (als „abstrakte Arbeit“). Die einzelnen Menschen erfahren somit an ihrem eigenen Leib eine reale Abstraktion von ihrer Individualität und ihren Bedürfnissen und werden auf bloße „Behälter“ der Ware „Arbeitskraft“ („Human Ressources“) und Warentauschsubjekte reduziert. Sie sind somit bloße Funktionen des Kapitals. 

Die einzige emanzipatorische Antwort kann auch hier nur die Abschaffung der kapitalistischen Verhältnisse bedeuten, in der Arbeit und Kapital (Produktion und Zirkulation, Recht und Gewalt…) gegenseitig vermittelt werden. Wer versucht, das als unheilvoll Wahrgenommene im Kapitalismus von der Gesamtdynamik abzuspalten und isoliert zu bekämpfen landet somit schnell bei personalisierten Vernichtungsfantasien, die sich schließlich aufgrund der historischen Bedingungen gegen Jüdinnen und Juden richtet: Das Nichtbegreifen des in sich wahnsinnigen Kapitalverhältnisses findet im antisemitischen Wahn einen Ersatz.  

Anmerkung: Es lässt sich auch ein nur dem Schein nach entgegengesetztes Muster beobachten: Das Jüdische wird mit dem Partikularen und Besonderen assoziiert, das Wiederum für die Realisierung des Kapitalverhältnisses notwendig sei: Träger des Wertes sind bestimmte Waren, die aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften getauscht werden. Die Kritik der kapitalistischen Vergesellschaftung ergeht dann als Kritik deren mangelhaften Universalität und drängt auf die Aufopferung des Besonderen hin, das wiederum jüdisch konnotiert wird (vgl. Badiou) und dessen Fluchtpunkt die Angleichung aller in der heroischen Bereitschaft zum Tode für das politische Kollektiv ist.

Krise und Staat. Das „Jüdische“ galt seit jeher als feindlich gegenüber dem Prinzip der Staatssouveränität. Juden*Jüdinnen werden im antisemitischen Wahn mit dem Weltmarkt und der globalen Dynamik des Kapitals assoziiert, die stets in einem gewissen Widerspruch zur Souveränität der Staaten steht. Dabei wird verkannt, dass Staatssouveränität und Weltmarkt gegenseitig vermittelt sind und eine wenn auch widersprüchliche und krisenanfällige Einheit bildet. 

Die dadurch begrenzte Handlungsfähigkeit des Staates zeigt sich gerade in Zeiten der Krise, in denen der Staat als souveräner Krisenmanager in Anspruch genommen werden soll. Diese Sehnsucht nach absoluter Souveränität kann in einem Versuch der Überwindung bürgerlicher Staatlichkeit hin zur Formierung einer substantiellen Gemeinschaft und damit eines als ursprünglich imaginiertes Kollektiv münden: Nation, „Rasse“ oder „Volk“.

Für den Antisemiten gelten Juden*Jüdinnen jedoch als die „Gegenrasse, das negative Prinzip als solches“ (DA, 177), das es zu vernichten gilt, um Erlösung zu erfahren: Während andere „Rassen“ untergeordnet oder auch nur an ihrem Platz bleiben sollen, gibt es für die Juden*Jüdinnen als Anti-Volk keinen Platz: Der Antisemitismus drängt immer auf Vernichtung.

Antimoderne Ressentiments. Im Antisemitismus drückt sich der Hass gegen die Herausforderungen und Widersprüchlichkeiten der Moderne aus: Dass die Moderne die Versprechen von Freiheit und Gleichheit einerseits nicht einhalten kann und sie andererseits auf eine solche Weise affirmiert, dass sie auch immer im Dienste von Herrschaft geraten; dass die individuelle Freiheit als bürgerliche Freiheit dem Kapitalverhältnis unterworfen wird; die Koexistenz von bürgerlicher Freiheit und rassistischer Entmenschlichung durch koloniale Praktiken und damit die Einbindung der Kategorien der aufgeklärten Moderne in koloniale Projekte; die Tatsache, dass der erreichte Entwicklungsstand nicht für eine Abschaffung von Herrschaft und Zwang eingesetzt wird. 

Statt die Dialektik der Aufklärung und der Moderne zu erkennen, wird Moderne als solche verworfen. Wohl aufgrund der Tatsache, dass für Juden*Jüdinnen in Westeuropa mit der aufgeklärten Moderne eine tendenzielle Verbesserung ihrer Lebensbedingungen einhergegangen ist, assoziiert der Antisemit Juden*Jüdinnen mit der Moderne und identifiziert sie als deren Profiteur*innen, wenn nicht als gar als ihre Strippenzieher (so funktionieren fast alle Verschwörungstheorien!). 

Juden*Jüdinnen seien kosmopolitisch, wurzellos, befreit von physischer Arbeit, städtisch – sie seien die Ursache der Zersetzung von vermeintlich natürlichen Kollektive (Familie), der Verwirrung der Traditionen und Bindungen. Zu diesem Muster gehört auch die Verbindung von Juden*Jüdinnen mit der europäischen Kolonisierung

Eins darf in den Erklärungen jedoch nicht vergessen werden: Dies ist keine Rechtfertigung. Trotz der geschilderten gesellschaftlichen Ursachen bleibt es dabei, der Antisemit ist für seinen Antisemitismus selbst verantwortlich. Niemand muss Antisemit sein.

 

3.      Antisemitismus und falsche Überwindungen 

Antisemitismus begleitet nicht nur immer als Möglichkeit das Bewusstsein des modernen Menschen, sondern erscheint immer dort, wo bürgerliche Gesellschaft nicht adäquat auf ihren Begriff gebracht wird. 

Die Gefährlichkeit liegt dabei – wie bereits erwähnt –  in dem Versuch, die widersprüchliche Einheit der Momente der Wertvergesellschaftung (Staatssouveränität und Weltmarkt, Arbeit und Kapital, Selbstbestimmtheit und Abhängigkeit und Ohnmacht im kapitalistischen Verwertungszwang…) zugunsten eines Momentes gegen ein anderes aufzulösen, an Stelle der Überwindung der gesamten Vermittlungsform. Ein Moment wird dabei versucht der Krisenanfälligkeit des Marktes zu entziehen, die Vermitteltheit geleugnet. So entsteht eine Unterteilung in ein beständiges und ein zersetzendes Moment, die sich in den Imaginationen jenes homogenen, ursprünglichen Kollektivs wie z.B. „Volk“ niederschlägt, während das „Jüdische“ mit dem Zersetzenden assoziiert wird.

All diese Tendenzen sind nicht nur ein falscher Versuch der Überwindung bürgerlicher Vergesellschaftung, sondern auch mit der Preisgabe der emanzipatorischen Momente innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft (u.a. Vergleichbarkeit und Individualisierung) verbunden. Jene Momente erscheinen zwar sogleich entstellt, doch wäre es fatal, ihre Ansätze zu leugnen. Tatsächlich ist das angestrebte Kollektiv entweder eine irgendwie geartete Regression hinter der bürgerlichen Staats- und Rechtsform oder sogar eine „Progression“ in einem neuen substantiellen, politischen Kollektiv: 

So oder so beschwört es einen Mythos des Unmittelbaren und bedeutet konkret unmittelbare Abhängigkeitsverhältnisse und Willkür. All das bedeutet auch immer eine Negation von Zivilisation und Moderne als solche und nicht ihrer Selbstwidersprüchlichkeit und Unvollendung.

Diese regressiven Formen, die Widersprüche der bürgerlichen Moderne und der Wertvergesellschaftung aufzulösen versuchen und dabei antisemitische Implikationen entfalten oder sich gar an zentralen Stellen antisemitisch artikulieren, findet man in ganz unterschiedlichen Strömungen.

Die islamistische Vorstellung einer Einheit des muslimischen Kollektivs jenseits bürgerlicher Staatlichkeit, die konkret durch unmittelbare Abhängigkeitsverhältnisse (und nicht in der Vermittlung eines allgemeinen Rechts) organisiert wird und Individuen in diesem höheren Kollektiv aufhebt ist kaum zu trennen von Antisemitismus und vom Imperativ, Israel zu zerstören.  

Aber auch das klassisch antiimperialistische Verständnis nationaler Befreiung, eventuell in der Formierung in einem Staatssozialistischen nationalen Kollektivs kann für ähnliche Dynamiken anfällig sein. Die damit verbundene Reduktion des Kapitalverhältnisses auf die hegemoniale Rolle einzelner Staaten, die Fetischisierung von Völkern und von Kollektiv als solches, die Romantik des Ursprünglichen, der Identität, der „Wurzeln“ verlieren nicht nur sehr schnell ihren emanzipatorischen Impetus (als Widerstandsmoment gegen Kolonialherrschaft und Subsumtion unter dem Kapitalverhältnis), sondern münden fast immer in dies Befürwortung reaktionärer Vorstellungen. Die Wiederholung antisemitischer Formen ist nicht selten, antisemitische Inhalte sind auch nie fern. 

Die Disproportion, die die Parteilichkeit mit dem „palästinensischen Befreiungskampf“ im Vergleich auch zu anderen „nationalen Befreiungskämpfe“ und die Fixierung auf die Abschaffung Israels, das einzig als kolonialer, kapitalistisch-imperialistischer Staat wahrgenommen wird, lassen keine Zweifel übrig.

 

4. Negative Aufhebung im antisemitischen Kollektiv: Der NS-Unstaat

Die absolute und qualitativ andere Form falscher Überwindung und darin die absolute Form des Antisemitismus wurde im nationalsozialistischen Unstaat erreicht. 

Die immanente Krise bürgerlicher Gesellschaft sollte dadurch abgewehrt werden, dass Gesellschaft zur substantiellen Gemeinschaft des Volkes formiert wird. Während zum einen die Gesellschaft durch konkurrierende Rackets organisiert wurde, wurde eine höhere Einheit durch Integration aller in die Volksgemeinschaft unter dem Führerprinzip und in der Teilhabe an der Vorbereitung und Ausführung des Raubkrieges. Durch Raubkrieg, Momente der Kommandowirtschaft, sowie staatliche Organisierung von Arbeit wurde real versucht eine noch kapitalistische Wirtschaft den Schwankungen des Marktes zu entziehen. Arbeit wurde real in das umgewandelt, was darunter deutsche Ideologie immer verstanden hat: Beitrag zum Aufbau des Volkes. 

Doch der Kern der Formierung zur Volksgemeinschaft bestand in  der Vernichtung der Juden*Jüdinnen als Selbstzweck: In ihnen wurde zum einen das vermeintlich falsche des Kapitalverhältnisses bekämpft, zum anderen die „Gegenrasse“ schlechthin, die der Selbstidentität des „deutschen Volkes“ mit sich im Weg steht.  Die Vernichtung der Juden*Jüdinnen gewinnt darin einen mystischen und erlösenden Charakter – die aber in jeder Form des Antisemitismus mitschwingt.

 

ZWISCHENFAZIT: 

All das bestimmt den alles durchdringenden, totalen und potentiell immer eliminatorischen Charakter von Antisemitismus – und diesen als sehr realen. 

Solange Herrschaftsverhältnisse bestehen, können Juden*Jüdinnen immer als der absolute Feind konstruiert werden, als die Personifikation der Herrschaftsmechanismen und als das absolut Fremde, die nicht verdrängt, sondern ausgelöscht werden müssen. Für die Betroffenen heißt das, dass sie immer abwägen müssen, ob ihr Leben gerade in Gefahr ist und ob sie ihr Leben selbstbestimmt gestalten können. Antisemitismus ist damit etwas, was in der bürgerlichen Gesellschaft latent omnipräsent ist und sich immer entfalten kann, unabhängig von sozialer Lage oder politsicher Positionierung. So kann erst auf eine Abschaffung von Antisemitismus gehofft werden, wenn Herrschaft schlechthin abgeschafft wird. Das heißt, dass der Kampf gegen Antisemitismus solidarisch ist mit dem Kampf ums Ganze, um die befreite Gesellschaft.

(Die Tatsache, dass Antisemitismus in nicht-bürgerlichen Projekte keineswegs verschwunden ist, ist ein Anzeichen dafür, dass diese Herrschaft nicht abgeschafft haben und dass deren vermeintlicher Universalismus ein falscher ist: So wurden praktisch Juden*Jüdinnen im Sowjetkommunismus weiterhin verfolgt und bedrängt und nicht selten mit der bürgerlichen Welt assoziiert. Die Behauptung, Emanzipation sein in einer Unversöhnten Welt schon erlangt, bringt immer mit sich Antisemitismus mit) 

II.                Zu Israel und Antizionismus

1.      Antisemitismus und Israel

Doch angesichts einer Geschichte immer wiederkehrender Pogrome und Drangsalierungen von Juden*Jüdinnen, der realen Gefahr totaler Vernichtung und ihrer Verwirklichung in der Shoah, muss sich die Abwehr einer erneuten Katastrophe im bestehenden artikulieren – mit den Mitteln, die die bestehende Gesellschaftsform zur Verfügung stellt. Deshalb nimmt der Kampf gegen Antisemitismus in gewisser Hinsicht oft einen „bürgerlichen“ Charakter an.

Ganz konkret heißt es: Es ist ein staatlicher Souverän nötig, in dem Antisemit*innen aus dem Gewaltmonopol ausgeschlossen sind (und das heißt: in dem Juden*Jüdinnen die Mehrheit bilden), der wiederum jüdischen Selbstschutz und der jüdisches Leben sorgenfrei ermöglicht. Das ist der Sinn des zionistischen Projektes eines Judenstaates – das sich nicht erübrigt hat. Das ist auch der Grund, weshalb jede linke Kritik, die ihre Solidarität an die die politische Organisation des Staates knüpft, komplett an der Sache vorbei geht: Es geht nicht um die Frage, inwiefern Israel irgendwie der kommunistischen, anarchistischen Sache (oder wie auch immer) dienlich sei , sondern um die Frage, wie Israel (alle) Juden*Jüdinnen vor dem Antisemitismus schützt. Die Notwendigkeit aber dieses Projektes einzusehen gebührt auch – und gerade – einer staatskritischen (kommunistischen, aber auch anarchistischen) Linken. Dazu ist sie verpflichtet im Namen des Universalismus von Emanzipation: Keine Emanzipation, keine Überwindung der Spaltung der Gattung ohne Juden*Jüdinnen. 

 

2.      Warum Israel ein emanzipatorisches Anliegen ist und bleibt

„“I am not only a Zionist, I am a super-Zionist. For me, Zionism was and remains the right of the Jews to control their fate and their future. Only then, when I disembarked Haifa, did I stop being an object of others‘ action and became a subject“ (Zeev Sternhell) 

Israel ist kein gewöhnlicher Staat. Als „Judenstaat“ ist Israel auch immer Instrument der (bürgerlichen) Selbstemanzipation und des Selbstschutzes vor der drohenden Katastrophe für Juden*Jüdinnen, nach der Erfahrung, das Juden*Jüdinnen zum Schutz ihres Lebens und zur Bekräftigung ihrer Rechte sich auf niemandem verlassen können. 

Es geht darum, einen Raum schaffen, in dem nicht nur das physische Leben von Juden und Jüdinnen nicht bedroht ist, sondern in dem sie sich ohne Sorgen und Einschränkungen entfalten können. Anders als allen anderen Staaten, ist Israels primärer Zweck auf Juden*Jüdinnen bezogen. Keine andere Gruppe erfährt eine Form von so universaler und so zerstörerischer und Anfeindung, dass sie prinzipiell (und nicht nur kontingent) nur im Selbstschutz eine Antwort finden kann. Auch das Rückkehrrecht für alle Juden*Jüdinnen, die von Antisemitismus bedroht sind, unabhängig von ihrer persönlichen Einstellung zu Israel gehört zum Wesen des Staates. Deshalb muss Israel als jüdischer Staat existieren. 

Israel muss sich dementsprechend organisieren und handeln. Will es seine erste Aufgabe gerecht werden, muss Israel dafür sorgen, dass es existieren kann und Sicherheit und Ruhe für seine Bewohner*innen garantieren. Dabei ist zu bedenken, dass Israel seit seiner Gründung in einem permanenten Ausnahmezustand lebt – weil am Antisemitismus sich der Ausnahmezustand, der hinter der bürgerlichen Gesellschaft immer steht, zeigt und weil Israel dann notwendig wurde, als die Katastrophe schon realisiert war; aber auch weil Israel seit seiner Gründung mit absolut starken Bestrebungen, seine Gründung rückgängig zu machen, konfrontiert ist (in der Form mehrerer Angriffskriege, sowie der Formierung einer antizionistischen Internationalen). Konkret heißt das unter anderem, dass Israel sich verteidigen können, Angriffe vorbeugen und über sichere Grenzen verfügen muss. Das ist die erste permanente Bemühung einer jeden israelischen Regierung. Der Schutz der Grenzen, die starke Militarisierung (auch der Bevölkerung), die ausgeprägte Sicherheitspolitik sind keine Wahl für Israel, sondern eine Notwendigkeit und gehören zum Alltagsgeschäft. 

Und trotzdem schafft es Israel, sich in vielem von diesem Ausnahmezustand zu befreien und sich als Demokratie zu vollziehen: Als die einzige liberale Demokratie in der gesamten Region. Dies ist keineswegs selbstverständlich. 

 Anmerkung: Rechte Bewunderung für Israel?

Die positive, wenn auch ganz eigentümliche Berufung auf Nation, die Politik im Modus des Ausnahmezustandes, die Rede von sicheren Grenzen und die Militarisierung sind oft anderswo Wahrzeichen rechter Politik – in Israel die Folge ganz realer Verhältnisse. 

Deshalb funktioniert auch nicht der Versuch, die Politik Israels in einem Atemzug mit Trump und Faschismus zu nennen: Auch eine explizit Rechte Politik der israelischen Regierung wäre immer noch primär von den besonderen Umständen und der besonderen Aufgabe, die Israel kennzeichnet, bestimmt. 

Selbstverständlich kann man auch in der israelischen Politik Tendenzen zu Ethno-Nationalismus und allgemein eine Stärkung des konservativen und rechten Lagers registrieren. Doch auch diese Entwicklungen müssen in Bezug zu den Besonderheiten israelischer Politik gesetzt werden und aus der spezifischen Situation Israels und der jüngeren Geschichte verstanden werden.  Die Sorge, dass Israels jüdischer Charakter ethnisch-nationalistisch ausgelegt werden kann, wird dabei nicht nur selbst in Israel wahrgenommen und von zionistischen Parteien ausgetragen, sondern Fußt im Selbstverständnis des Zionismus: Selbst rechte Zionisten, wie Ze’ev Jabotinsky und Menachem Begin betonten stets, dass Israel Gleichberechtigung für alle seine Bürger*innen garantieren muss und dies nicht in Widerspruch zum jüdischen Charakter steht.

Die neulich entdeckte Leidenschaft einiger Teile der internationalen Rechte für Israel ist Folge des selben radikalen Missverständnisses über Israel, das selbst mit Projektionen operiert, und Ergebnis ihrer spezifischen Weise, den bürgerlichen Souverän nicht zu begreifen. Israel wird gefeiert als vermeintliches Bollwerk gegen den Islam, als Staat, der militärisch seine Grenzen und darin seine Souveränität verteidigt, sogar als völkisch-nationalistisches Projekt und wird als Beispiel für die Rechte substantiellen und völkischen Deutung von Nation genommen. Tatsächlich ist der Grund der Bewunderung in letzter Instanz selbst antisemitisch. Die imaginierte und ersehnte absolute Souveränität eines substantiellen Volksstaates, jenseits der Krisendynamik des Weltmarkts, kann es nicht geben, außer Performativ in dem Akt der Formierung der Volksgemeinschaft im Kampf gegen den absoluten Feind. Diesen fanden sie bisher immer in den Juden*Jüdinnen und so reden dieselben Bewunderer*innen Israels auch von der „zionistisch okkupierten Regierung“, von „Diktatur der East Coast“ und sehen eine Verschwörung von George Soros am Werk.

3.      Israel ist ein bürgerlicher Staat. Oder: Keine doppelten Standards.

Wie jeder andere bürgerliche Staat, vereint auch Israel in sich die typischen Vorzüge und Widersprüche eines solchen.

Zu den Widersprüchen gehört auch die Verflechtung von der Allgemeinheit des Rechts einerseits und dem staatlichen Gewaltmonopol andererseits und damit von einem Moment setzender und erhaltender Gewalt, sowie die wesentliche und funktionale Abhängigkeit der Staatsform von kapitalistischer Akkumulation und die Rolle des Staates in der Konkurrenz auf dem Weltmarkt. Dazu gehört, dass sich selbstverständlich auch in Israel rassistische Strukturen reproduzieren, die typisch für die bürgerliche Gesellschaft sind. Bestimmte problematische Aspekte der bürgerlichen Staatlichkeit sind dabei sichtbarer, weil Israel die notwendigen Prozesse einer Staatskonstitution bzw. Nation Building in kurzer und junger Zeit und unter extremen Bedingungen durchmachte. Zu nennen sind u.a. die auch militärische Durchsetzung der Souveränität, die Bestimmung des Territoriums, eine gewisse Homogenisierung der Bevölkerung durch Sprache und Kultur, der Kampf um internationale Anerkennung etc. Diese Prozesse haben an sich problematische Aspekte und sind dabei allen staatlichen Gebilden gemein. 

So geschieht es leider allzu oft, dass sich ein wesentlicher Teil linker Kritik auf Aspekte bezieht, die Israel als bürgerlicher Staat mit vielen anderen Staaten teilt. Sie sollte sich somit nicht gegen Israel richten, sondern gegen die Staatsform als solche und damit gegen die kapitalistische Weltgesellschaft. Gerade deshalb muss eine solche Kritik die Besonderheit Israels unbedingt berücksichtigen.

Doch genau das Gegenteil passiert: Gerade weil der größte Teil der Linken über keine adäquate Begriffe zur Kritik bürgerlicher Gesellschaft verfügt, leistet sie keine Kritik, sondern ideologische Opposition. Es wird keine Staats- und Rechtsform geleistet, sondern entweder selbst dem Staatsfetisch in unterschiedlichen Formen erlegen oder eine abstrakte Negation von Staat betrieben, die eine rettende, allumfassende und dialektische Kritik, die auch die emanzipatorischen Momente bürgerlicher Vergesellschaftung berücksichtigt, verhindert. 

Jene verfehlte Kritik äußert sich allzu gerne als „Israelkritik“: Die Konstitution bürgerlicher Staatlichkeit, die immer ein gewalttätiger Prozess ist, der allen bürgerlichen Staaten gemein ist, wird einseitig, übermäßig oder gar ausschließlich an Israel kritisiert. Genau das meint die richtige Behauptung, man bewerte Israel allzu oft mit doppelten Standards: Was für alle Staaten gilt, wird nur, hauptsächlich oder unverhältnismäßig an Israel kritisiert. Von Juden*Jüdinnen wird somit das verlangt, was von keiner anderen Gruppe verlangt wird: sich in der bürgerlichen Welt jenseits bürgerlicher Kategorien und Strukturen zu artikulieren. (Tatsächlich hat Israel dies sogar zu Beginn versucht, als es in der zionistischen Bewegung eine sozialistische Mehrheit gab.) Viele „Israelkritiker“ halten Israel vor, dass die zionistisch-sozialistische Orientierung von einer bürgerlich-liberalen ersetzt wurde, der Normalfall in allen westlichen Ländern. Hieran entlarvt sich der projizierende Charakter ihrer „Kritik“. 

In diesem Sinn ist es außer Frage, dass Israel auch jenseits seiner besonderen Schutzfunktion absolut legitim ist bzw. nicht weniger illegitim als jedes andere Staatsgebilde.  

 

4.      Israel bis zur befreiten Gesellschaft. 

Gerade eine kritisch-kommunistische, emanzipatorische Linke, die weiß, dass Staat und Nation nicht definitive Instrumente der Emanzipation sein können, kann und muss den besonderen Charakter des jüdischen Staates erkennen. 

Tatsächlich wird an Israel der progressive Kern bürgerlicher Vergesellschaftung deutlich. So ist der Staat Israel trotz seiner besonderen Bedeutung und feindlichen Umgebung, deutlich progressiver als alle anderen Gesellschaften und Verfassungen: Rechtsstaat, Allgemeinheit des Rechts, Schutz individueller Freiheiten, demokratische Teilhabe. (Dass es besseres als diese Verfassung geben könnte, steht auf einem anderen Blatt und ist eine andere Frage.) 

Staaten sind auch immer Instrumente bürgerlicher Emanzipation und dienen der Abwehr des Rückfalls in die Barbarei, die im Falle Israels dringend notwendig sind. Auch das Ziel der Überwindung von Staat und Nation (das nur mit der Überwindung der wertvermittelten, kapitalistischen Gesellschaft wirklich erreichbar ist) müsste Rechenschaft für den Antisemitismus tragen. Denn Juden*Jüdinnen würden auch postnational durch Antisemit*innen zum Kollektiv geschweißt und angefeindet werden, solange Herrschaft nicht selbst abgeschafft ist. 

5.      Antizionismus

Tatsächlich lässt sich konstatieren, dass es eine regelrechte Obsession um Israel gibt, die bis in einen Vernichtungswunsch reicht und die aktuell vor allem unter Linken und in arabischen Ländern verbreitet ist. Israel gerät in doppelter Weise unter Beschuss: Dort, wo seine Sonderfunktion erkannt werden müsste, werden die besondere Maßnahmen, die Israel aufgrund seiner spezifischen Aufgaben trifft, zu dessen Nachteil mit dem gewöhnlichen Maßstab für andere Staaten gemessen und als unverhältnismäßig kritisiert. Dort, wo Israel die gewöhnlichen Momente bürgerlicher Herrschaft reproduziert (die nicht selten im Falle anderer Staaten nicht mal wahrgenommen werden), wird Israel gemessen mit einem komplett disproportionierten Standard.  

Es wurde nie behauptet, dass jede Kritik an israelischer Politik antisemitisch sei. Rein theoretisch muss auch nicht jeder Antizionismus per se antisemitisch sein. Auch eine Definition von Antisemitismus, die die antisemitischen Momente von vielen Varianten von Antizionismus berücksichtig, läuft keineswegs darauf hinaus, Antisemitismus mit Antizionismus zu identifizieren oder Juden*Jüdinnen mit Israel gleichzusetzen. Doch ist einerseits Antizionismus (in jeder Form) extrem anfällig für antisemitische Muster und sehr häufig in Antisemitismus begründet. Andererseits trägt Antizionismus (auch jüdischer Antizionismus) nie Rechenschaft des Ausmaßes des geschichtlich ereigneten sowie des gegenwärtigen Antisemitismus und hat damit praktische antisemitische Konsequenzen. Tatsächlich fasst der „Durchschnittsantizionist“ bereits den Zionismus typischerweise antisemitisch auf: Er versteht den Zionismus nicht als bürgerlichen Nationalismus neben anderen (und gleichzeitig als etwas ganz Besonderes weil er Mittel der Selbstemanzipation und Selbstschutz der Juden*Jüdinnen angesichts der antisemitischen Gefahr ist), sondern als besonders aggressive, rassistische, faschistische, größenwahnsinnige und irgendwie nach Weltherrschaft strebende Ideologie. Entsprechend antisemitisch ist auch die typische Antwort auf den Vorwurf, der geäußerte Antizionismus sei antisemitisch. Der Vorwurf wird sodann zum Trick degradiert und als Diffamierung der Kritik genutzt. 

 6.      Einordnung des „Nahostkonflikts“ 

Auch die gewöhnliche Interpretation des „Nahostkonflikts“ macht grundsätzlich Israel an allem Schuld und neigt dazu, die Palästinenser*innen zu den Opfern und Verfolgten schlechthin zu machen, sowie in ihnen die neue Gestalt der Staatenlose entrechteten zu suchen. 

Es wird dabei ausgeblendet, dass zum Teil von arabischen Ländern und der internationalen Gemeinschaft so operiert wurde, dass diese Projektion wahr wurde. In der Behauptung, Israel sei ein „faschistischer Staat“, der einen „Genozid“ an den Palästinenser*innen betreibe, sind die Projektion und die Paranoia vollkommen.

Die einfachste Beschreibung des Kontextes des „Nahostkonfliktes“ ist hingegen: Es gab/gibt einen Krieg diverser arabischer und muslimischer Länder gegen Israel – seit seiner Gründung. Ist man nicht der Meinung, dass Israel nie hätte sein sollen, ist damit schon alles gesagt: Seit Beginn an muss sich Israel vor Angriffen verteidigen, hinter denen mal impliziter, mal expliziter ein Vernichtungswunsch lauert. 

Dabei wird immer wieder der Sachverhalt des Konfliktes so verdreht, dass suggeriert wird, es bestünde ein Konflikt zwischen Israelis und Palästinenser*innen. So wird Israels militärisches und politisches Handeln immer als direkt gegen die Palästinensische Bevölkerung gerichtet und dargestellt. Nichts ist irreführender. 

Die Konfliktlinie läuft zwischen Israel, das sein Existenzrecht und die Sicherheit seiner Bürger*innen behauptet, und all jenen Akteuren, die feindlich gegenüber Israel stehen – nicht zuletzt aufgrund antisemitischen Hasses. 

Das Verhalten dieser Akteure ist auch maßgeblich daran beteiligt (gewesen), aus dem Schicksal der arabischen Bevölkerung der Region, die nicht israelisch gewordenen ist einen internationalen Fall zu machen und sie in eine Lage zu führen, indem ihr objektives Interesse sich zum Teil unmittelbar gegen die Interessen der israelischen Bevölkerung artikulieren muss. Das „Palästinenserproblem“ wurde so konstruiert – und zwar real konstruiert – dass die Existenz von Palästinenser*innen sehr leicht zum Instrument im Kampf gegen Israel gemacht werden kann und Palästinenser*innen als Opfer Israels, als Israels negativer Gegenpart real konstruiert wurden. 

Erst in diesem Zusammenhang ist eine Spannung zwischen Israel und Palästinensischer Führung zu deuten und erst in diesem Zusammenhang ist das Leid der palästinensischen Bevölkerung zu erörtern. Selbstverständlich hat die Staatsgründung Israels – gerade als Staatsgründung „aus dem Nichts“ und als zum Teil noch offener Prozess – einen gewissen Maß an Gewalt und Verdrängung hervorgebracht, die besonders Palästinenser*innen trifft. Allerdings ist dieser Prozess mit Unzähligen vergleichbar, die in der Nachkriegszeit stattgefunden haben und dessen negative Folgen hätten längst behoben werden können. Es darf dabei nicht vergessen werden, dass es der palästinensischen nationalen Bewegung nie wirklich um einen palästinensischen Staat neben Israel ging, sondern stets die Rückgängigmachung von 1948 als Ziel anstrebte. 

III. FAZIT:

1) Es stimmt nicht, dass Linke immun gegenüber Antisemitismus sind. Immun wären sie nur, sofern sie einer adäquaten Kritik bürgerlicher Vergesellschaftung mächtig wären – und dann auch nur, indem sie dadurch den eigenen Antisemitismus permanent abbauen. „Links“ verkommt leider nur all zu oft zur Weltanschauung und Ideologie unterschiedlicher Ausprägung, zur linksliberalen Teilhabe am bürgerlichen politischen Diskurs, zur fetischisierenden Kritik bürgerlicher Gesellschaft, die einige ihrer Momente affirmiert, zur abstrakten Negation, die das zu negierende wiederholt; zur Reduktion von Kritik auf subjektive Praktiken. Alle diese Haltungen/Positionen, reproduzieren zwangsläufig auch den Antisemitismus der bürgerlichen Gesellschaft, in deren Raum sie sich bewegen oder bringen einen eigenen Antisemitismus hervor. 

Sicher erweisen sich Linke allzu oft unfähig, Antisemitismus zu bekämpfen. Zumindest die Konsequenzen einiger linker Positionen haben antisemitische Effekte: Sie sind eine Bedrohung in Leib und Seele für Juden*Jüdinnen, weil sie deren Selbstschutz unterminieren.  

Eine wichtige Voraussetzung des gegenwärtigen linken Antisemitismus ist u.a. die Nichtaufarbeitung des linken Antisemitismus der 70er und 80er, dessen zentraler Austragungsort Antizionismus war.

 

2) „Solidarität mit Israel“ seitens emanzipatorischer Kräfte, die eine Kritik bürgerlicher Gesellschaft formulieren, heißt nicht, sich selbst zu widersprechen. Sie fußt auf der Einsicht, dass es Schlimmeres gibt, als die Subsumtion von Leib und Freiheit unter das Kapital: Die Regression in die Barbarei, die offen die Opferung und Selbstaufopferung von Individuum, Freiheit, Leib einfordert und ihren Wahn direkt gegen Juden*Jüdinnen loslässt. In diesem Sinn und angesichts der Tatsache, dass die Katastrophe nicht nur real wurde, sondern Kontinuitäten noch heute entfaltet und immer noch möglich ist, ist Solidarität mit Israel geboten. 

Diese Solidarität – die darin unbedingt ist, dass sie sich nicht von Tagespolitik abhängig macht – heißt nicht, dass die Folgen der israelischen Staatsgründung für die arabische Bevölkerung gleichgültig seien, oder dass man die rechten Entwicklung in Israel nicht mit Sorge beobachten darf. Auch bedeutet sie keine Apologetik. Doch eine Kritik auch an punktuelle Aspekte der israelischen Politik scheint unmöglich im gegebenen Zusammenhang, ohne schon an die Fixierung auf Israel teilzuhaben. Stets ist außerdem die besondere Funktion und die bestimmte Geschichte Israels zu berücksichtigen. 

Hingegen müsste sich der Einsatz für Rechte und Wohl von Palästinenser*innen von ideologischen Verzerrungen befreien. Voraussetzung dafür ist zum Einen die Anerkennung des realen Existenzrechts Israels (inklusive dessen Notwendigkeit, sich zu verteidigen im Kontext der Nahost-Region) –  Zum Anderen die Beendigung der impliziten Annahme, der Kampf der Palästinenser*innen sei von besonderer emanzipatorischer Bedeutung. Dessen verbreiteteste Erscheinungsform sieht vor, dass man alle mögliche utopische Projekte in Verbindung mit Palästina setzt, in kompletter Absehung von den realen Bedingungen. So wurde der Kampf der Palästinenser*innen schlechthin mit dem Kampf um Sozialismus und kolonialer Befreiung assoziiert. Genauso wie mit der Möglichkeit, einen demokratischen Konföderalismus in der Region zu etablieren, während die palästinensische Gesellschaft real durch konservativ-islamische und islamistische Rackets organisiert ist. Diese linke Projektion auf Palästina – die nicht ohne eine negative Projektion auf Israel auskommt – ist ein erhebliches Problem. 

3) Besonders wichtig scheint uns aktuell die Entflechtung von antirassistischen Diskursen und Praktiken und von der Thematisierung (post)kolonialer Verhältnisse von einem antizionistischen Paradigma. Das gilt für die konkreten Bewegungen aber auch für die Theorien, die im Hintergrund stehen. 

Auch Theorien des Postnationalen, eine Kritik an Staat und Nation sowie kosmopolitische und universalistische Ansätze sollten die (historisch gewachsene) Besonderheit Israels berücksichtigen, also immer Antisemitismus mitbedenken. Es gilt zum einen zu bedenken, dass sich in Bezug auf Juden*Jüdinnen eben die Frage nach der adäquaten Vermittlung von Partikularem und Universalem, von Identität und Nichtidentität entfaltet hat: Auch schon der Verlust einer Sensibilität für Antisemitismus ist oft Anzeichen für eine abstrakte, rein behauptete Universalität. 

Zum anderen müsste mitbedacht werden: die angestrebte „freie Assoziation“ stünde keineswegs im Widerspruch zu einer expliziten, selbstbestimmten, freien Assoziation jüdischer Menschen. 

 

„Well, the neighborhood bully, he’s just one man
His enemies say he’s on their land
They got him outnumbered about a million to one
He got no place to escape to, no place to run
He’s the neighborhood bully.
The neighborhood bully he just lives to survive
He’s criticized and condemned for being alive
He’s not supposed to fight back, he’s supposed to have thick skin
He’s supposed to lay down and die when his door is kicked in
He’s the neighborhood bully.
The neighborhood bully been driven out of every land
He’s wandered the earth an exiled man
Seen his family scattered, his people hounded and torn
He’s always on trial for just being born
He’s the neighborhood bully.
Well, he knocked out a lynch mob, he was criticized
Old women condemned him, said he should apologize
Then he destroyed a bomb factory, nobody was glad
The bombs were meant for him. He was supposed to feel bad
He’s the neighborhood bully.
Well, the chances are against it, and the odds are slim
That he’ll live by the rules that the world makes for him
‚Cause there’s a noose at his neck and a gun at his back
And a license to kill him is given out to every maniac
He’s the neighborhood bully.
Well, he got no allies to really speak of
What he gets he must pay for, he don’t get it out of love
He buys obsolete weapons and he won’t be denied
But no one sends flesh and blood to fight by his side
He’s the neighborhood bully.
Well, he’s surrounded by pacifists who all want peace
They pray for it nightly that the bloodshed must cease
Now, they wouldn’t hurt a fly. To hurt one they would weep
They lay and they wait for this bully to fall asleep
He’s the neighborhood bully.
Every empire that’s enslaved him is gone
Egypt and Rome, even the great Babylon
He’s made a garden of paradise in the desert sand
In bed with nobody, under no one’s command
He’s the neighborhood bully.
Now his holiest books have been trampled upon
No contract that he signed was worth that what it was written on
He took the crumbs of the world and he turned it into wealth
Took sickness and disease and he turned it into health
He’s the neighborhood bully.
What’s anybody indebted to him for?
Nothing, they say. He just likes to cause war
Pride and prejudice and superstition indeed
They wait for this bully like a dog waits for feed
He’s the neighborhood bully.
What has he done to wear so many scars?
Does he change the course of rivers? Does he pollute the moon and stars?
Neighborhood bully, standing on the hill
Running out the clock, time standing still
Neighborhood bully.“
– Bob Dylan