Aufruf gegen den 1.000-Kreuze-Marsch 2020

FEMINISTS FIGHT BACK!

Nicht schon wieder! Am 21. März 2020 findet der 1.000-Kreuze-Marsch in Münster statt!

Unter dem Motto „1.000 Kreuze für das Leben“ stolzieren christliche Fundamentalist*innen, Ultrakonservative, knallharte Abtreibungsgegner*innen, Faschist*innen und Burschenschaftler seit (zu) vielen Jahren selbstbewusst durch die Münsteraner Innenstadt. Mit ihrer als „Gebets- und Trauermarsch“ getarnten Demonstration wollen sie nicht nur gegen das Selbstbestimmungsrecht schwangerer Menschen hetzen. Die unerträgliche Leier ist bekannt. Sie propagieren reaktionäre Vorstellungen von Geschlecht, Sexualität und Familienleben: Queere Identitäten werden abgelehnt, Homosexualität und alle Formen des Begehrens abseits der heterosexuellen Zweierbeziehung verachtet. Sex solle vor allem der Fortpflanzung dienen und nur in der Ehe stattfinden. Damit sind sie eine wichtige Komponente des antifeministischen Rollbacks und des rechten Kulturkampfes.

Gegen diese alte Scheiße stellen wir uns mit aller Entschlossenheit – Feminists fight back!

Kommt mit uns zur Vorabenddemo „Feminists fight back“ am 20.03.2020 um 19 Uhr (Münster Hauptbahnhof) und am Tag darauf in den feministisch-antifaschistischen Block auf der Großdemo gegen den 1.000-Kreuze-Marsch um 13:30 Uhr (Münster Hauptbahnhof).

Gegen autoritäre Unterwerfungen

Sie nennen sich „Lebensschützer“, nehmen aber den Tod von schwangeren Menschen durch in die Illegalität gedrängte und damit häufig unter mangelhaften medizinischen Bedingungen durchgeführte Abtreibungen in Kauf. Generell scheint ihnen das Leid, das ungewollte Schwangerschaften körperlich und psychisch auslösen können, als vernachlässigbar. Ihre Vorstellung von „Beratung“ von Betroffenen kommt eher einer religiös motivierten Indoktrination gleich. Woher kommt ihre menschenverachtende Haltung?

Was sie mit ‚Leben‘ meinen, ist ein mystifiziertes Verständnis von ’natürlichem‘ Leben – nicht das gute und selbstbestimmte Leben freier Individuen. Ihre Ideologie drückt dabei die Sehnsucht nach einer ursprünglichen und beständigen Identität aus, die Orientierung gibt und nicht anfällig für Krisen sei. Und nichts scheint beständiger zu sein als das, was sie „Natur“ nennen. So erklären sie gesellschaftliche Gebilde wie ‚Geschlecht‘, ‚Familie‘, ‚Volk‘ zu etwas Naturgegebenen und propagieren, dass alles, was man für ein glückliches Leben tun müsse, sich diesen vermeintlich natürlichen Größen unterzuordnen sei. Indem sie soziale Zwänge, die grundsätzlich veränderbar sind, als nicht mehr hinterfragbare Ordnung darstellen, versuchen sie, Herrschaft und Unterdrückung zu rechtfertigen.

Wir stellen uns gegen ein solches Konstrukt einer ’natürlichen Ordnung‘. Was als ’natürlich‘ gilt, kann nicht essentialistisch bestimmt werden. Jedes Verständnis von Natur und jedes Verhältnis zu Natur ist durch die gesellschaftlichen Verhältnisse geprägt, unter denen es entstanden ist. Aus dem Begriff der ‚Natur‘ lassen sich daher keine universellen Normen ableiten. Genau dies tun jedoch die selbsternannten „Lebensschützer“, wenn sie versuchen, aus ihrer ahistorischen Imagination einer ’natürlichen Ordnung‘ ein heteronormatives Geschlechtersystem abzuleiten, welches die geschlechtliche Identität von trans*, nicht binären und inter Personen nicht anerkennt, Heterosexualität zur Norm erklärt und Frauen eine hierarchisch untergeordnete Position und Funktion als ‚Gebärmaschine‘ zuweist. Die Naturalisierung eines Konstruktes geht aber nicht ohne massive und diffuse Gewalt.

Die rechten Fantasien einer ’natürlichen Ordnung‘ entstehen jedoch nicht zufällig. Es gibt etwas, was ‚Natur‘ genannt werden kann: Eine Dimension von Zwängen und Abhängigkeiten, die universalen Erfahrungen zugrunde liegt: die Unhintergehbarkeit von Bedürfnissen, die Notwendigkeit zu sterben, das Ausgesetzt-Sein organischer Prozesse oder natürlicher Katastrophen, die Erfahrung von Mangel und Befriedigung. Natur kann aber nicht benannt werden, ohne damit schon von Gesellschaft und Individuum zu reden: Sie ist immer gesellschaftlich vermittelt. Die Frage ist also: Auf welche Weise eignet sich Mensch ‚Natur‘ an, wie stellen sich Menschen in Verhältnis zu Natur? Emanzipation bedeutet dabei, das Verhältnis zur Natur gemäß der eigenen Bedürfnisse bewusst, selbstbestimmt und gemeinsam zu gestalten, sodass, soweit es geht, Individualität und Solidarität möglich werden und so wenig Verzicht wie nötig auf Lust stattfindet – die „Zurückführung der menschlichen Welt, der Verhältnisse, auf den Menschen selbst“.

Die Verklärung einer vermeintlichen Natur durch Rechte ist damit Ausdruck ihres autoritären Charakters, der Selbstaufopferung, Unterwerfung und Anpassung propagiert. Das Ideal der Rechten ist der Innbegriff von Herrschaft: eine Unmittelbarkeit von vermeintlich ’natürlichen‘ Zwängen, die das Gegenteil gesellschaftlicher Emanzipation darstellt. Das aber ist das Lebensfeindlichste überhaupt: der Verzicht der Menschen auf ein selbstbestimmtes Leben.

Patriarchat, Nation, Kapital – immer noch Scheiße!

Der Kampf gegen sexuelle Selbstbestimmung ist aber nicht nur das Geschäft religiös-reaktionärer Kräfte. Mit der Entstehung bürgerlicher Nationalstaaten im Zuge der Aufklärung wurde das Thema Schwangerschaftsabbruch, und überhaupt Familie, zu einer Frage der Reproduktion der Gemeinschaft der Staatsbürger*innen und der Bedingungen für die Kapitalakkumulation. Dies drückt sich im Handeln des Staates aus, der unter anderem mit Paragraphen wie §§ 218,219a StGB versucht, die gesellschaftliche Reproduktion – und damit die Körper und das Leben gebärfähiger Personen – zu regulieren. Obwohl sich unsere Lebensrealitäten durch die mutigen Kämpfe feministischer Bewegungen bereits um einiges verbessert haben, ist für viele Menschen noch nicht einmal das liberale Versprechen rechtlicher Gleichstellung verwirklicht. Und ohnehin greift dieses zu kurz. Frauen* wird aber weiterhin die Aufgabe der gesellschaftlichen Reproduktion zugewiesen, sodass viele einer Doppelbelastung in Form von dem Zwang zur Erwerbs- und Hausarbeit ausgesetzt sind.  Und während das bürgerliche Ideal der ‚Hetero-Einverdiener-Familie‘ aus kapitalistischer Sicht zunehmend eine ineffizient gewordene Form des Zusammenlebens geworden ist, werden wandelnde Geschlechterverhältnisse und Beziehungsformen erfolgreich in das kapitalistische System integriert. Vor dem Hintergrund neoliberaler Vereinnahmung feministischer Kämpfe kann der Antifeminismus der Rechten versuchen, sich als moralisch überlegen oder sogar als widerständig und subversiv zu präsentieren. Gerade darin sind sie aber ein Produkt der kapitalistischen Gesellschaft, die aufgrund ihrer Verwertungslogik, Konkurrenz und inneren Irrationalität eine ständige Produzentin von reaktionären Bewegungen und autoritären Charakteren ist. Er, der Antifeminismus, ist dabei ein wesentlicher Bestandteil des reaktionären Kulturkampfs, der auf eine Rückgängigmachung der emanzipatorischen Errungenschaften von 1968 abzielt.

Antifeminismus – Kitt der Reaktion

Die Abtreibungsgegner*innen in Münster sind also nicht der lächerliche Haufen skurriler Gestalten, nach denen sie aussehen. Denn Antifeminismus, Sexismus und LGBTIQ*-Feindlichkeit versammeln die unterschiedlichsten Akteur*innen des rechten Hegemonieprojekts. Das hat mehrere Gründe.

  • Antifeminismus bietet ein hohes Anschlusspotential an ‚die Mitte der Gesellschaft‘ und lässt auf größeren Einfluss auf politische Diskurse hoffen. Durch die Anbindung an religiöse Diskurse und kirchliche Kreise können sie sich in Selbstverharmlosung und Normalisierung versuchen und eine Brücke zwischen Konservativen und offen faschistischen Kräften schlagen.
  • Antifeministische Themen dienen als Einfallstor für andere Ungleichwertigkeitsideologien. ‚Lebenschützer*innen‘ beziehen sich zum Beispiel häufig auf völkisches Denken: Es ginge darum, die einheimische Bevölkerung eines Landes zu erhalten. Hetze gegen Migrant*innen (Verschwörungstheorie des ‚großen Austauschs‘), Rassismus und antimuslimische Ressentiments lassen sich mit diesem Denken leicht verbinden.
  • Auch antimoderne Ressentiments spielen eine zentrale Rolle. Es wird eine durch ‚Werte‘ verbundene Gemeinschaft imaginiert, die im Gegensatz zu einer ‚künstlichen‘ Gesellschaft und ihren vermeintlich ‚zersetzenden‘ Tendenzen stünde: Eine Vielfalt an Beziehungsformen sowie körperliche und geschlechtliche Selbstbestimmung erscheint den Rechten als Auflösung der ‚traditionellen Familie‘ und von Gemeinschaft, als ‚Verschwulung‘ und ‚Kulturmarxismus‘. Antimoderne Ressentiments sind dabei nicht selten antisemitisch konnotiert. Ihren Antisemitismus zeigen die Abtreibungsgegner*innen dabei auch durch den Vergleich von Schwangerschaftsabbrüchen mit der Shoah.
  • Antifeminismus ist schließlich für die parlamentarische Rechte strategisch interessant. Antifeministische Forderungen lassen sich mit relativ geringem Aufwand umsetzen und gut für Mobilisierung und Einflussnahme verwenden. So erlebt man international im Zusammenhang mit dem Aufkommen der Neuen Rechten Politiken des antifeministischen Rollbacks wie es etwa in Polen, Brasilien, Ungarn oder in den USA der Fall ist. Es ist daher kein Wunder, dass sich unter den Fundamentalist*innen Personen und Gruppen aus dem völkisch-rechten Spektrum wie zum Beispiel die Identitäre Bewegung, Neonazis und AfD befinden.

Feminists fight back!

Was sich um den 1.000-Kreuze-Marsch abspielt, ist also nicht nur unerträglich, sondern auch brandgefährlich. Antifeministische Praxen stellen schon jetzt eine reale Bedrohung für Betroffene dar. Die erreichten Errungenschaften emanzipatorischer und feministischer Kämpfe sind keine Selbstverständlichkeit und müssen verteidigt werden. Doch Proteste, die sich allein auf deren Verteidigung konzentrieren, rücken die gegenwärtige Gesellschaft in ein Licht, das sie nicht verdient hat. Konsequente feministische Praxis richtet sich daher nicht nur gegen reaktionäre und antifeministische Bewegungen, sondern auch gegen den bürgerlichen Staat und die kapitalistische Produktionsweise, gegen die tiefverwurzelten patriarchalen Strukturen und die heteronormative Gewalt. Eine der stärksten Kräfte, die für eine Gesellschaft kämpfen kann, in der alle ohne Angst verschieden sein können und der sich gegen regressive Tendenzen einsetzt, ist der Feminismus.

Für die befreite Gesellschaft, für ein selbstbestimmtes Leben: Feminists fight back! No pasarán!