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Rede zur GEAS-Reform der EU

Gegen die Menschenfeindlichkeit – für das Leben!

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen, 
das, was momentan in Europa und weltweit passiert, kann uns eigentlich nur sprachlos machen. Vergangenen Mittwoch sind 750 Menschen vor der griechischen Küste von Pylos gekentert, womöglich wegen eines Push-Backs der griechischen Küstenwache. Nur 104 Menschen konnten überleben. Schon lange folgt auf grausame Fälle wie diese kein öffentlicher Aufschrei mehr. Zu sehr hat man sich schon gewöhnt an die tödlichen Konsequenzen des europäischen Abschottungs-Systems, an das Mittelmeer als Massengrab der Festung Europa. Diejenigen, die gegen dieses mörderische Grenzregime ankämpfen, müssen mit Gegenwehr und Repression rechnen. So wurde die Solidaritätsdemo vorgestern in Athen von der Polizei brutal angegrefriffen.
Immer unverhohlener zeigt sich das rassistisch-tobende Gesicht der EU.
Während laut dem UNO-Hilfswerk für Menschen auf der Flucht gerade mehr Menschen denn je ihre Heimat verlassen müssen – letzten Schätzungen zufolge etwa 108 Millionen – versucht die  EU mit allen Mitteln jede Möglichkeit zur Flucht nach Europa auszuhebeln: Nach der neuen Asylreform sollen Menschen auf der Flucht, dort wo sie ankommen, d.h. direkt an den EU-Außengrenzen, für bis zu zwölf Wochen in Sammellagern eingepfercht werden können, während sie anhand von sogenannten Schnellverfahren „überprüft“ werden. In den meisten Fällen folgt darauf eine brutale Abschiebung – nicht mal jedem zweiten Asylantrag wird laut dem ZDF stattgegeben. Geflüchtete Menschen werden dazu gezwungen, zurück in Länder zu gehen, in denen Krieg, Hunger oder autoritäre Regime ihr Unwesen treiben.

Diese neue Brutalisierung des europäischen Grenzregimes fällt nicht zufällig mit allgegenwärtigen autoritären Rollbacks zusammen – in Europa und auch in Deutschland, das doch ach so viel aus seiner Geschichte als Land der Täter gelernt hat. 
So hat etwa die ultra-rechte Regierung Italiens Migrationsbekämpfung zu den Hauptthemen ihrer Arbeit erklärt. Dabei findet rhetorisch eine perfide Täter-Opfer Umkehr statt. Nach dem staatlich zugelassenen Massenmord vor der Küste von Cutro, in Kalabrien, empfing Meloni die Angehörigen der Opfer und erklärte diesen, es sei unverantwortlich, das Leben mit dem Versuch das Mittelmeer zu überqueren zu riskieren. Angekündigt wurde eine „Jagd bis zum Ende der Welt“ gegen sog. „Schleuser“. Während die Regierung tatsächlich mit Milizen und mafiösen Strukturen kooperiert, die Migrant*innen schikanieren und die Überfahrten kontrollieren, werden durch die Rhetorik der „Schleuserbekämpfung“ vor allem Menschen, die auf der Flucht sind und in der Not Aufgaben während der Überfahrt übernehmen, oder gar Helfer*innen angegriffen. Das Bedürfnis von Menschen und die Entscheidung, ihre Länder zu verlassen, wird von dieser Rhetorik mit Menschenhandel gleichgesetzt. Als sei dies nicht schon genug, soll auch das System von Inhaftierungszentren für Migrant*innen (cpr) ausgebaut und somit eine wichtige Form des humanitären Schutzes abgeschafft werden. Mitglieder der Regierung verbreiten dabei ganz offen die Verschwörungserzählung des „großen Austauschs“, selbst der Kultusminister schreibt Bücher darüber. Kein Wunder bei diesen Zuständen: andere feiern Mussolinis Marsch auf Rom, ein offener Faschist ist Senatspräsident, ein traditionalistischer, homophober Ultrakatholik mit Naziverbindungen ist Präsident der Abgeordnetenkammer. 

Auch in anderen europäischen Ländern wie in Griechenland nimmt der autoritäre Kurs zu, wird der Hass gegen Migrant*innen offen geschürt, werden die Stacheldrahtzäune der Festung Europa noch höher gezogen, werden immer mehr illegale gewaltsame Pushbacks eingesetzt, um Menschen an ihrer Bewegungsfreiheit zu hindern. Der griechische Premier Mitsotakis proklamierte im Januar stolz: „Griechenland steht mutig an der Front einer effektiven Verwaltung der Migrationsfrage.“ Neoliberale Logik und Kriegsrhetorik verbinden sich unverfroren in dieser Aussage. Die Abschottung der griechischen Grenze, die tatsächlich als Krieg gegen Migrant*innen ausgeführt wird, wird als  „Verwaltungsfrage“ verbucht. Wie ein Aktivist der identitäten Bewegung spricht Mitsotakis weiter: „Griechenland bildet die Grenze Europas, und es ist unsere Pflicht, diese zu schützen.“ Dazu dient der ausgedehnte Gebrauch illegaler Pushbacks auf See, der Einsatz von Gewalt durch Frontexagenten, der Ausbau des Zauns am Evros. Dieses Europa schützt nicht, sondern tötet!

Auch in Deutschland wird der autoritäre Rechtsruck sichtbarer, Rassismus erneut salonfähiger. Die CDU spricht nun ganz offen der AfD nach: Merz spurt rassitisch vor sich hin, während Spahn Menschenrechte für etwas überholtes hält. Grüne, SPD, FDP setzen Politiken zur Repression von Migrant*innen, die die AfD sich wünscht durch, wie nicht einmal Seehofer es tat. So bedeutet die Zustimmung zur GEAS-Reform die Umsetzung vieler seiner Vorhaben. Die aktuelle Innenministerin Faeser – die ihr Amt mit einem Memorandum begann, das ganz offen Selektion von Migrant*innen anhand wirtschaftlicher Nützlichkeit vorsah – redet die GEAS-Reform dabei schön. Das Auswärtige Amt hält die vom Bundestag beschlossenen Gelder für die zivile Seenotrettung zurück. Alle zwei Tage finden Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte statt; die Lage erinnert zunehmend an die frühen 90er Jahre – doch für die Regierung und einen guten Teil der Öffentlichkeit steht der Feind klar links: Antifaschist*innen, Aktivist*innen der Klimagerechtigkeitsbewegung, Antirassist*innen. So werden in Dresden Antifaschist*innen zu unverhältnismäßig langen Haftstraßen verurteilt und in Leipzig hebelt man mit allen juristischen Umwegen mal eben so die Versammlungsfreiheit aus. Die AfD erreicht dabei nie gesehene Hochs in Wahlumfragen.

Bereits 1997 schrieb Wolfgang Pohrt:
“Die Abschaffung des Asylrechts, die Verstärkung der Grenzen incl. Grenzschutz, […] die Errichtung rassistischer Barrieren im Landesinneren gegen „kriminelle Ausländer“ usw. hat  Hochkonjunktur. Jeder Mord, jeder Angriff auf Migrant*innen und Flüchtlinge, jedes faschistoide und rassistische Gesetz ist ein Sandsack mehr zur Verstärkung der rassistischen Deiche am Rande und im Innern Deutschlands. Es ist die Voraussetzung für das Deutschwerden der Einheimischen (nach dem Motto: geboren als Mensch, entwickelt zum Deutschen, geformt zum Vollstrecker)“.
Diese Worte könnten auch heute geschrieben worden sein. Es ist dieser institutionelle Rassismus, der Altagsrassismus, der Rassismus der „bürgerlichen Mitte“, der zu einen Zustrom zum rechten Rand führt, der Rassismus salonfähig macht und Nazis in Sicherheit wiegt. Es ist dieser Rassismus, der Menschen in Moria einpfercht und sterben lässt. Es ist dieser Rassismus, der nach Syrien abschiebt, Geflüchtete kriminalisiert und Nazis gewähren lässt. Es ist der Rassismus der „Mitte“ von CDU und SPD. Auf diese Parteien und auf den Staat ist kein Verlass in unserem Kampf gegen Rassismus und Faschismus, denn sie werden diese Probleme nicht lösen. 
Das ist auch kein Wunder: Denn Freiheit und Leben, selbst Überleben von Menschen sind keineswegs sicher, wenn sie in der Form von Menschenrechten garantiert werden sollen, die nur durch Nationalstaaten konkret werden.
Der kapitalistische Nationalstaat ist ein Ungeheuer: Er wird Menschen daran messen, wie nützlich sie gerade für die Steigerung der Profite und des Bruttoinlandprodukts sind. Ansonsten werden sie als Last wahrgenommen. Der „Gated Capitalism“, der immer mehr ausgebaut wird, soll die schrumpfenden Zonen der reicheren kapitalistischen Zonen nach außen hin abschotten, während Wettbewerb und Konkurrenz im Inneren toben. Nationalstaat bedeutet immer schon eine Aufteilung der Menschheit: Und zwar potentiell gegeneinander. Menschenrechte sind damit einem per se menschenverachtenden Monster anvertraut. Rechte Parteien und Diskurse drücken offen dieses Verständnis aus. Bürgerliche, liberale, sozialdemokratische, grüne Parteien setzen das ohnehin von selbst durch – mal rechtfertigen sie das als Einsicht in Sachzwänge, mal verschönen sie rhetorisch die offene Brutalität. Diese Welt konkurrierender, kapitalistischer Nationalstaaten ist ein infames Unding. Sie rechnet immer mit Ausschluss und Mord, sie macht Menschen überflüssig, verzichtbar. 

Brick by Brick, Wall by Wall – es ist diese ganze Ordnung, die weg muss. Die Forderungen nach Bewegungsfreiheit, nach Bleiberecht – und auch bereits nach humanitärem Schutz! – sind revolutionär. Nimmt man sie ernst, führen sie auf den Weg einer radikalen Gesellschaftveränderung. Lasst uns dies in die Hand nehmen – Feuer und Flamme der Festung Europa!