Liebe Freund*innen, liebe Genoss*innen,
es war in vierlerlei Hinsicht ein Scheißjahr. Ein Scheißjahr besonders für Frauen und Queers, für Migrant*innen, für Lohnabhängige, und für linke Aktivist*innen. Die organisierte Traurigkeit dieser Welt hat sich gesteigert und eindrücklich gezeigt, dass sie nicht nur in Widerspruch zum guten Leben steht, sondern oft genug auch zum Überleben schlechthin.
Durch die Covid-19-Pandemie ist ein Sonderzustand eingetreten. Dieser aber hat einiges sichtbar werden lassen, was schon im Normalzustand der kapitalistischen und patriarchalen Gesellschaften der Fall war.
1.
Insbesondere wurde spürbar, dass in der Gesellschaft des Kapitals die Reproduktion des Lebens und die Sorge umeinander nicht nur nicht das Ziel der Gesellschaft sind, sondern immer erreicht werden müssen gegen eine Tendenz zur Zerstörung von Leben, die dieser Gesellschaft innewohnt: Kaputt-Gemachtes muss wiederhergestellt werden. Kapitalismus bedeutet immer auch die Zerstörung der Bedingungen von Leben und das Ausbrechen vielfacher Krisen.
Diese Tätigkeit der Wiederherstellung – der Reproduktion – ist aber für diese Gesellschaft auch notwendig, damit sie überhaupt bestehen kann. Und doch muss sie nebenbei geleistet werden, und wird auf die Schultern bestimmter Gruppen abgewälzt, denen diese Arbeit mit Gewalt aufgezwungen wird. Kapitalismus verlangt also immer auch eine Unmenge an Gewalt, mit der diese unbezahlte reproduktive Arbeit angeeignet wird.
Dafür wirkt Kapitalismus im Zusammenspiel mit anderen Formen von Herrschaft, die direkte Gewalt ausüben: Vor allem Rassimus und Patriarchat. So ermöglichte koloniale Herrschaft, dass Menschen zu Sklaven gemacht wurden und koloniale Kontinuitäten setzen diese Dynamik fort.
So ermöglicht Patriarchat, dass ein Teil vom Leben von (vielen) Menschen – die Reproduktionsfähigkeit – als eine Ressource betrachtet wird, die direkt angeeignet wird. Das gilt in vielen Fällen auch für die unterschiedlichen Formen von Sorgetätigkeiten.
Gewalt kennzeichnet immer diese Seite der direkten Aneignung. Und so ist es kein Zufall, dass es eine explizite, mörderische Gewalt gegen Menschen, die als Frauen gelesen werden, gibt. Diese Gewalt, die bis zum Femizid reicht, ist einerseits Mittel, um die Aneignung am Körper der Frauen aufrecht zu erhalten. Anderseits ist sie oft genug Ausdruck der Angst, das Privileg der Männer, über die Sorge durch Frauen zu verfügen, zu verlieren.
(*Als Anmerkung vorgetragen:*) Und weil diese gewalttätige Aneignung und Unterordnung gegenüber Frauen eine große Ähnlichkeit mit der kolonialen und rassistischen Gewalt hat, müssen feministische Kämpfe und Kämpfe gegen Rassismus zusammen wirken. Beide sind ein „Aufstand gegen die missbrauchende Verfügung“.
2.
Diese Grunddynamik wird besonders im Gesundheitsystem und im Pflegesektor deutlich, die durch Corona besonders ausgereizt wurden. Es wurde spürbar, dass die Grundlagen dieser Gesellschaft in einem gewissen Widerspruch stehen zu dem, was zur Reproduktion, Heilung und Förderung von Leben dient – und dass gleichzeitig diese Arbeit unverzichtbar ist.
So verschlechterten sich die Bedigungen für Menschen, die in der Pflege arbeiten, während der Druck stetig zugenommen hat.
Dabei lässt sich beobachten: 75% aller Berufe, die sich mit Pflege und Sorge beschäftigen, werden von uns Frauen und Queers ausgeübt. Wir aber arbeiten zu weitaus schlechteren Bedingungen, Arbeitszeiten und Bezahlung als unsere männlichen Kollegen.
Reproduktionsarbeit findet aber nicht nur in der Pflege statt, sondern zu einem Großteil unsichtbar gemacht in der Sphäre des vermeintlich Privaten. Auch Kindererziehung, die Pflege von Angehörigen, Hausarbeit und emotionale Care-Arbeit werden überwiegend von Frauen und Queers jeden Tag unentlohnt verrichtet. Auch diese Tätigkeiten wurden durch Corona verstärkt in Anspruch genommen und damit die Doppelbelastung, die auf Frauen lastet, nochmals zugespitzt. Während die Kinder im Home-Schooling Unterstützung brauchen, die Kitas nur zur Notbetreuung geöffnet haben, Angebote für Jugendliche komplett geschlossen sind und die alltägliche Hausarbeit nicht weniger wird, sollen wir unserer Lohnarbeit im Home-Office nachgehen.
Als Dank dafür wurde im Scheißjahr 2020 auch noch fleißig von den Balkonen der Rebublik geklascht. Es ist an Zynismus nicht zu überbieten! Es ist blanker Hohn!
Am liebsten aber hätte es diese Gesellschaft, wenn diese notwendigen Tätigkeiten als Ausdruck der Nächstenliebe stattfinden – und Nächstenliebe dabei noch als „natürlich“ nicht-männlich konnotiert wird. Diese Ideologie dient damit auch zur Naturalisierung von Care- und Reproduktionsarbeit als Aufgabe für Frauen und Queers und damit als Legitimation dafür, jene Arbeiten schlecht oder gar nicht zu entlohnen und sie unsichtbar zu machen.
Ja, in einem ersten Schritt müsste man Pflege- und Sorgearbeit aus ihrem prekären, unsichtbaren Status herausholen und besser oder überhaupt entlohnen.
3.
Doch es geht uns um mehr:
Es geht um eine Gesellschaft, in der die Dinge so eingerichtet sind, dass die gesellschaftlichen Bemühungen direkt die Reproduktion selbstbestimmtem Lebens und die gegenseitige Sorge als Ziel haben – und dass diese Bemühungen gemeinsam getragen werden – nicht hauptsächlich von Frauen und Queers. Pflege- und Care-Arbeit muss gesellschaftlich vermitteltet stattfinden, außerhalb von kapitalistischen Zwängen. Es geht uns um eine Gesellschaft in der, wenn es zur Mühe der Arbeit kommen muss, diese den Bedürfnissen selbstbestimmten Lebens aller dient und diese von allen gemeinsam getragen wird.
Das heißt: Es geht um eine Gesellschaft, in der die Kultivierung und Wiederherstellung des Lebens nicht über Herrschaft läuft und nicht zur Markierung und Unterordnung bestimmter Gruppen führt.
Damit geht es uns um eine Gesellschaft, in der das Überleben gesichert wird und so viel Raum wie möglich geschaffen wird für selbstbestimmtes Leben.
Um eine Gesellschaft, in der eine auf Geschlecht bezogene Unterdrückung aufhört, in der wir Frauen und Queers befreit werden von der gesellschaftlichen Erpressung, die da heißt: Dein Leben ist erst dann (vermeintlich) sicher, wenn du dich unterordnest und die geforderte Arbeit leistet.
Und genau deshalb geht es um eine Gesellschaft, in der die Normierung und Vorbestimmung der Geschlechter selbst ein Ende findet.
Nieder mit Patriarchat & Kapitalismus – für die befreite Gesellschaft!