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Things have got to change – Zur Aufgabe einer progressiven Linken nach dem 7.10.

I.
Am 7. Oktober wurde durch den terroristischen Angriff der Hamas das größte Pogrom gegen Jüdinnen*Juden seit der Shoah begangen. Zahllose Menschen wurden gefoltert und ermordet, Shoah-Überlebende verschleppt, Frauen und Mädchen vergewaltigt, Babys vor den Augen ihrer Eltern geköpft. Die Massaker, die die Hamas an diesem Tag verübt hat, markieren eine Zäsur. Sie sollten Jüdinnen*Juden als eben solche treffen.Sie haben die radikalste Verachtung und einen reinen Vernichtungswunsch zum Ausdruck gebracht. Sie sind ein Beispiel dafür, dass Antisemitismus einen eliminatorischen Fluchtpunkt hat – und die Dschihadisten wollten damit genau das zum Ausdruck bringen. Der 7. Oktober sollte das Gefühl der individuellen und kollektiven Sicherheit in der Welt für Jüdinnen*Juden zerstören. Diese Zäsur wurde durch die Ereignisse weltweit verstärkt und multipliziert: Auf den Straßen fanden immense Mobilisierungen statt, die zum Teil die Massaker der Hamas als „Ausbruch aus dem Freiluftgefängnis“ und als Befreiungskampf verherrlichten und – noch bevor die Operationen der israelischen Armee begannen – von einem Genozid sprachen, und damit vor allem das antisemitische Bild blutrünstiger Jüdinnen*Juden zeichnen wollten. Seitdem werden Wohnungen von Jüdinnen*Juden markiert, Jüdinnen*Juden werden offen auf Straßen oder in Universitäten bedroht, Synagogen und Friedhöfe in Brand gesteckt – und so intergenerationale Traumata erweckt. Dies ist nichts Neues. Es zeigt, dass die Opposition gegen Israel meist sehr wenig mit der Kritik an bestimmten Politiken israelischer Regierungen, an dem Handeln rechter israelischer Gruppierungen oder mit dem Interesse für die Lage der Palästinenser*innen zu tun hat – sondern sehr viel mit antisemitischen Affekten, die sich fest in die Ablehnung Israels gegossen haben und dieser Form gegeben haben. Man befindet sich nun in einer Situation, in der man sagen muss: Never Again is Now.Doch scheint dieser Ausruf im luftleeren Raum linker Strukturen weltweit zu verhallen.Denn diese Zäsur erneuert auch für die Linke eine Aufgabe: Was heißt es, im eigenen Begriff von Emanzipation die Realität von Antisemitismus zu bedenken? Was heißt es, Solidarität mit Jüdinnen*Juden in die eigene Praxis einzubauen? Was heißt es, dass beides konkret sein, für die Geschichte Wirklichkeit werden muss?  Und wie kann eine Praxis aussehen, in der wir mit Jüdinnen*Juden weltweit und mit Israel solidarisch stehen? Wie kann diese Praxis dabei deutlich machen, dass ihr das Leid der Palästinenser*innen nicht gleichgültig ist? Dieser Aufgabe muss eine andere Frage vorangehen: Kann sich eine Linke als solche bezeichnen, wenn in ihr faktischer Antisemitismus Standard ist und das reale Leben von Jüdinnen*Juden nichts zählt?   

II.
Wenn zwar viele die Bereitschaft, die Hamas als Teil eines „palästinensischen Befreiungskampfes“ zu betrachten, verurteilten (was selbstverständlich sein sollte!), wurde die Zäsur, die der 7. Oktober bedeutete, und das, was der 7. Oktober überhaupt über den „Nahostkonflikt“ sagt, kaum bedacht. Man ist schnell zur üblichen, ohnehin verzerrten Betrachtung des Konfliktes gegangen: Es ist dann die Rede von einer generischen „Gewaltspirale“, die sich plötzlich materialisiere. Wenn man über Israel-Palästina spricht, solle unbedingt immer jeder Satz in die eine Richtung mit einem Satz in die andere Richtung ausbalanciert werden – doch ist damit gern etwas Anderes gemeint: Israel habe die Reaktion der Hamas selbst provoziert und reagiere nun unverhältnismäßig. Die Rollen werden klar aufgeteilt: Israel sei übermächtig und wolle unterdrücken. Jüdinnen*Juden sind gut – aber nur solange sie sich der Verfolgung stellen.  So muss an erster Stelle festgehalten werden: Die Hamas hat Pogrome gegen Jüdinnen*Juden verübt und wollte es genau so. Die Hamas hat die Eskalation gesucht, auch um die Annäherungen zwischen Israel und mehreren Staaten der arabischen Welt zu sabotieren und um eine weltweite Stimmung gegen Israel zu erzeugen. In diesem Zusammenhang muss Israel an erster Stelle seine Bevölkerung schützen und so handeln, dass die Gefahr durch die Hamas (und den Proxies des iranischen Regimes) behoben wird. Ohnmacht zu wählen, wäre an dieser Stelle falsch: Um der Lebendigen Willen.Das Vorhaben, die Hamas zu neutralisieren und ihre Infrastruktur zu zerschlagen, ist keine Reaktion im Affekt, sondern eine militärische Operation mit der Intention, die Sicherheit der israelischen Bevölkerung zu sichern.  In unvollkommenen Verhältnissen, die selbst eine solche militärische Reaktion nahelegen, heißt das, Abwägungen treffen zu müssen und auch Schuld in Kauf zu nehmen. Doch dass in dieser unvollkommenen Welt militärische Betätigung notwendig ist, um das Existenzrecht Israels zu schützen, bedeutet auch, dass die militärischen Strukturen, die mit dieser Aufgabe betraut sind, nicht unabhängig von den Logiken dieser Welt arbeiten können. Es ist die Aufgabe der IDF, die Armee des Schutzes jüdischen Lebens zu sein (sie ist dabei natürlich nicht davor gefeit, dieselben strukturellen Makel aufzuweisen wie militärische Institutionen in anderen Ländern). Und ihre Aufgabe ist schwierig. Die Hamas kontrolliert den Gazastreifen und bestimmt dort den Alltag; sie versteckt sich und ihre Infrastruktur in unterirdischen Tunneln, die ganz Gaza Stadt zum Schutzschild machen, oder platziert Abschussrampen, Waffenlager, Kommandozentralen in Krankhäusern, Schulen, Wohnhäusern. Es ist das erklärte Ziel der IDF, das, was als „militärische Asymmetrie“ bezeichnet wird, gerade dazu zu nutzen, soweit es geht die zivilen Opfer zu verringern – und ganz offenbar nicht, um einen Genozid an den Palästinenser*innen in Gaza zu verüben (umgekehrt wäre es wohl das erklärte Ziel der Hamas, wenn sie mit äquivalenten technischen Mitteln ausgerüstet wäre, Israel aus der Landkarte zu streichen – was sie ja auch ohne entsprechende Mittel schon versucht). Bodenoperationen, die moderne Armeen normalerweise vermeiden wollen, haben nun die Funktion, so gut es geht, nur Hamas-Strukturen zu treffen.  Mittlerweile sind auch tausende Tote auf palästinensischer Seite zu beklagen. Wenn wir über den gegenwärtigen Konflikt sprechen, ist es unsere Aufgabe, auch palästinensischen Opfern zu gedenken und auf den größtmöglichen Schutz ihres Lebens zu hoffen. Zu bedenken ist dabei, dass es für die Hamas möglich wäre, das Leben von Zivilist*innen nicht aufs Spiel zu setzen. Stattdessen scheint sie die Evakuierungen der Bevölkerung Gazas verhindern zu wollen und versucht sie zum „Martyrium“ zu bewegen. Stattdessen hat sie ganz Gaza-City/Stadt zum Schutzschild für ihre Tunnel und zum Depot ihrer Waffen und ihrer Versorgungsmittel gemacht. Die Bevölkerung des Gazastreifens ist selbst Geisel der Hamas. Minimalste Freiheitsrechte werden hier verwehrt, die Versorgung mit Wasser und Elektrizität nicht ausgebaut, Kinder werden indoktriniert. Free Gaza from Hamas bleibt die Parole. Wir können schlecht die militärischen Taktiken der IDF beurteilen, wissen aber um die strukturellen Gefahren innerhalb militärischer Organisationen. Das ist das Setting, das immer bedacht werden muss, wenn durchaus zu Recht gefragt wird, ob die Vorkehrungen der Armee, zivile Opfer zu vermeiden, effektiv und umsetzbar sind; ob die initiale Sperre der Lieferungen von Wasser und Elektrizität als nicht-militärisches Druckmittel angemessen ist; ob das Aufhalten humanitärer Lieferungen aus Sorge, dass diese in die Hände der Hamas geraten, tragbar ist. Diese Fragen darf man stellen. Sie wurden aber kaum so gestellt, sondern stets als scheinbares Indiz der besonderen Bosheit Israels verwendet.  Dieses Setting zu bedenken, bedeutet nicht, das Leid und die Ausweglosigkeit der Palästinenser*innen in Gaza zu übersehen und liefert auch keine Rechtfertigung dafür, dies nicht zu tun. Die Trauer um die Toten in Folge der Operationen der Israelischen Armee, innerhalb des Krieges der Hamas gegen Israel muss zugelassen werden. 

III.
Auch wird oft gefordert, die gegenwärtige Situation zu kontextualisieren. Schnell ist man bei (bewusst vage gelassenen) Worten wie Besatzung, systematischer Unterdrückung und Siedlerkolonialismus. Dies seien die letzten Ursachen. Bei diesen Argumentationen geht es allerdings häufig nicht um eine Kritik an der Politik Israels in den von Israel militärisch besetzten Gebieten infolge des Versuchs, den einzigen jüdischen Staat 1967 auszulöschen. Es geht auch nicht um eine Kritik an der von rechten Siedler*innen ausgeübten Gewalt oder an der faktischen Diskriminierung gegenüber Palästinenser*innen, sondern es geht um eine Umkehrung der Narration. Der wirkliche Kontext wird dabei selten ernsthaft diskutiert. Denn in der Geschichte dessen, was verharmlosend „Nahostkonflikt“ genannt wird, hat sich immer wieder gezeigt, dass es der Anti-Israel-Seite kaum um die Rechte der Palästinenser*innen und um eine gelungene Gründung eines palästinensischen Staates ging, sondern um die Abschaffung Israels als einziger jüdischer Staat und Zufluchtsort für von Antisemitismus bedrohte Jüdinnen*Juden weltweit. Die arabische Welt – nicht einfach die Palästinenser*innen – weigerte sich 1948, einen palästinensischen Staat zu gründen, weil das die Anerkennung Israels impliziert hätte. 1948, 1967 und 1973 wurde Israel mit dem Versuch mehrerer Armeen arabischer Staaten konfrontiert, den Isreaelischen Staat auszulöschen. Von 1948 bis 1967 waren der Gazastreifen und das Westjordanland jeweils von Ägypten und Jordanien besetzt, ohne dass ein Staat Palästina gegründet wurde – stattdessen wurden zwei Intifada-Wellen losgetreten.  Der Gründung eines eigenen palästinensischen Staates stand die Weigerung einer Anerkennung Israels immer wieder entgegen.  Dabei müssen auch die Verhinderungen einer Lösung auf Seiten israelischer Politik und die nachvollziehbaren Interessen und Anliegen von Palästinenser*innen bedacht werden. Allerdings gab es zu keinem Zeitpunkt einen real zum Frieden entschiedenen Verhandlungspartner auf offizieller Seite. Aktuell – während immer mehr ehemalige befeindete Staaten Frieden mit Israel schließen – wird das in seiner Wesensbestimmung vernichtungsantisemitische iranische Regime zum Hauptsponsor des terroristischen Krieges gegen Israel, und durch die Zäsur des 7. Oktobers wird die Frage nach der Ätiologie des Konfliktes zweitrangig: Was jetzt zählt, ist der unbedingte Schutz der Existenz Israels. Der Weg der Friedensabkommen mit arabischen Staaten ist indessen als entscheidender Schritt für einen möglichen Frieden zu schätzen.  Auch hier gilt also: das ist das Setting, das zu bedenken ist, wenn dann mit vollem Recht Anderes angesprochen wird. Und das kann getan werden: Israel hat aktuell eine Regierung, an der auch rechtsextreme beteiligt sind, die aus einer Minderheitsposition Vieles bestimmen, unmögliche Positionen verbreiten und die Gewalt rechter Siedler*innen befürworten und unterstützen. Aus dieser Ecke kommen auch rassistische und zum Teil genozidale Äußerungen hervor: Diese begründen aber keineswegs das Vorgehen der Israelischen Armee. Die Gewalt rechter Siedler*innen ist ein massives Problem und wird von den Sicherheitsbehörden zu wenig verfolgt. Nicht zuletzt die Verschiebung der Tätigkeiten der IDF in die Westbank im Zusammenhang mit dem Schutz der Siedler*innen und der Bewältigung der Reaktionen auf deren Gewalt hat die Lücke eröffnet, die die Hamas im Süden ausgenutzt hat. Das heißt auch: Das Handeln der gegenwärtigen Regierung kompromittiert an erster Stelle sensibel die Funktion Israels, als Schutzraum für alle Jüdinnen*Juden zu wirken und als Raum, in dem die vielfältigen Weisen, jüdisch zu sein, sich entfalten können – als demokratischer Rechtsstaat. Sie paktiert mit einer Vorstellung von Israel, die wesentliche Einsichten des Zionismus als Emanzipationsbewegung torpediert und selbst im Widerspruch steht zu vielen anderen jüdischen Vorstellungen dessen, wie Israel aussehen soll.  

IV.
Schockierend, wenn auch nicht überraschend, waren vor diesem Hintergrund die Reaktionen in vielen Teilen der Welt, insbesondere in linken Zusammenhängen.  Viel zu viele Kundgebungen, Aktivist*innen und Organisationen haben die Massaker der Hamas gefeiert und zum Teil des „Befreiungskampfes“ erklärt – auch in Münster. Deutsche und internationale Linke solidarisierten oder rechtfertigten die Aktionen einer faschistischen, islamistischen, misogynen, queerfeindlichen Gruppierung. Und auch dort, wo es Distanzierungen von der Hamas gab, aber weiterhin die Vernichtung Israels intendiert wird, ist man deren Zielen nicht fern. Die Parole „From the river tot he sea – Palestine will be free“ bekam die Klarheit, die schon immer gemeint war – den vermeintlichen Befreiungskämpfer*innen geht es meistens um die Rückgängigmachung der Staatsgründung Israels.Für einen guten Teil der Linken weltweit wird die „Palästinensische Sache“ zum Symbol für jeden Befreiungskampf gemacht und nimmt eine Stellvertreterfunktion an, die kaum erklärbar ist, und die automatisch, reflexhaft abgerufen wird. Kufiya und Palästinafahne sind in vielen Ländern das Zeichen der radikalen Linken schlechthin. Die Identifikation damit wird zum entscheidenden Identitätsmarker, zum Zeichen besonderer Radikalität und Entschlossenheit und zum Zugehörigkeitstest. Wer diesen nicht besteht, gehöre bekämpft, ausgeschlossen  oder wird zur Inkarnation der Reaktion gemacht. Diese vermeintliche „Palästinasolidarität“ ist oft mitunter verschwörungstheoretisch aufgebaut: Ohne geschichtliches Bewusstsein, nicht faktenbasiert, dafür reich an den erkennbarsten antisemitischen Framings. Sie dient zur Selbstmobilisierung und Selbstbestätigung. Das heißt im Klartext: Teile der Linken sind Kompliz*innen einer erneuten Pogromstimmung, völlig ohne ein Gefühl für die Situation und die Anliegen von Jüdinnen*Juden zu haben. Tatsächlich sind sie auch nicht interessiert an der Lage der Palästinenser*innen oder an echten Lösungen, in denen Palästinenser*innen nicht als Vorhut des Kampfes gegen Israel vorkommen. Vergebens hat man nach Demonstrationen gesucht, die die Proteste der Bevölkerung Gazas gegen die Hamas vor einigen Monaten unterstützten oder ähnlich große Mobilisierungen gegen die Hunderttausenden Tote im Jemen, in Syrien oder ganz akut der Vertreibung von Millionen von Afghan*innen aus Pakistan: das ist kein Whataboutism, sondern ein notwendiger Vergleich, um die Irrationalität der Argumentation herauszustellen. Noch verzweifelter hat man in den letzten Wochen nach pro-palästinensisch auftretenden Demonstrationen gegen die Hamas gesucht, gegen deren Unterdrückung und Instrumentalisierung bis hin zum Mord an der Bevölkerung Gazas. Abgrenzungen gegen Islamist*innen kamen selten oder spät: Warum? Die Kritik an dem häufig auftretenden Antisemitismus wurde immer wieder abgewehrt, zum Teil mit selbst antisemitischen Argumentationen – so etwa die Rede davon, dass Antisemitismuskritik Ausdruck einer „German Guilt“ sei, die nicht auf die Welt zu übertragen sei und die ganz die Logik des Schlusstrichs und der Relativierung der Singularität der Shoah führt. Gleichzeitig kritisieren wir aufs schärfste die Tatsache, dass Akteure, die sich nie ernsthaft der Antisemitismusbekämpfung gewidmet haben, die mit Antisemiten koalieren (CSU mit Aiwanger) oder in ihrem Herzen mit diesen koalieren wollen (Merz mit AfD), die Gedenken wenn überhaupt ritualisiert und als Moment der Wiedergutwerdung der Deutschen praktizieren, nun den Kampf gegen Antisemitismus als Mittel für rassistische und migrationsfeindliche Politik nutzen – und gleichzeitig linksliberale Parteien mit auf diesen beschämenden Zug aufspringen. Wenn es stimmt, dass Antisemitismus unterschiedlich in diversen Zusammenhängen auftritt und auch entsprechend adressiert werden soll, ist es eine reine Abwehr der eigenen Schuld, von „importiertem Antisemitismus“ zu sprechen. Deutsche haben genug Antisemitismus bei sich und haben sich eifrig als Exporteure von Antisemitismus betätigt – insbesondere in arabische Länder (und damit selbst einige der Ausgangslagen des „Nahostkonflikts“ bestimmt). Die Forderungen nach Abschiebungen sind unmenschlich, selbst rechtlich mehr als fragwürdig, weil diskriminierend, und sie sind keine Lösung: Antisemit*innen bleiben auch anderswo eine Bedrohung. Vor allem zeigen diese Forderungen, dass es diesen Parteien eben nicht um Jüdinnen*Juden geht, sondern um „unser Land“ (BILD, 6.11.2023), sprich: um rassistische Politik. Diese Diskurse verhindern effektive Antisemitismusbekämpfung, instrumentalisieren die Notlage von Jüdinnen*Juden in Deutschland, dienen lediglich und bewusst einer migrationsfeindlichen und muslim*innenfeindlichen Stimmung. Auch muss klargestellt werden: die polizeilichen Maßnahmen zur Verhinderung antisemitischer Bekundungen dürfen nicht den Ausdruck des Leids von Palästinenser*innen pauschal unter Verdacht stellen und verhindern. Noch weniger darf rassistische Polizeigewalt direkt oder indirekt legitimiert werden.  

V.
Wir stehen weiterhin dazu: Der effektive Kampf gegen Antisemitismus gehört zu den Standards linker Politik und muss auf seine spezifische Weise geführt werden. Die akute Notlage Israels in dieser unvollkommenen Welt muss dabei stets mitbedacht werden. Die Lösung kann nicht einfach auf die befreite Gesellschaft vertagt werden. Das bedeutet, dass Israel ein antifaschistisches Anliegen bleibt und innerhalb der gegebenen Verhältnisse notwendig ist. In einer Welt, in der es Antisemitismus gibt und die sich weiterhin als Welt von Staaten und Nationen strukturiert, ist ein Staat, in dem garantiert wird, dass Jüdinnen*Juden nicht von der Gunst anderer abhängig sind und sich selbstverteidigen können, die einzige Garantie für den Notfall. Denn Antisemitismus kann in seiner wahnhaften Funktionsweise immer und überall auftauchen und zuschlagen und hat immer einen eliminatorischen Fluchtpunkt, der die Auslöschung jüdischen Lebens zum notwendigen Schritt für das Ende allen Übels imaginiert. In einer Welt, in der Gesellschaft nicht als freie Assoziation gestaltet wird, ist ein jüdischer Staat die Garantie, dass wenigstens dort Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden leben können, so wie sie leben möchten. Dafür muss Israel auch sicher sein können.Wie jedes emanzipatorische Anliegen bleibt auch Israel umkämpft, kritisierbar und dem Risiko ausgesetzt, sich selbst zu verfehlen. Das aber weiß an erster Stelle die israelische Bevölkerung selbst, die seit Monaten Proteste führt, wie man sie sich hierzulande kaum vorstellen könnte.Deshalb stehen wir solidarisch an der Seite der Jüdinnen*Juden, aller Israelis und Israels in seiner historischen Aufgabe. Wir trauern um die israelischen und palästinensichen Opfer. Wir verurteilen die gewaltvollen antisemitischen, misogynen und queerfeindlichen Taten, die unfassbares Leid über Jüdinnen*Juden nicht nur in Israel, sondern weltweit gebracht haben, und stehen an der Seite Israels. Wir stehen auch solidarisch mit den Menschen in Gaza, die sich einer auswegslosen Situation ausgesetzt sehen und unter den Folgen des islamistischen Terrorregimes und des andauernden Konfliktes leiden. 

„Well, the neighborhood bully, he’s just one man
his enemies say he’s on their land
They got him outnumbered about a million to one
He got no place to escape to, no place to run
He’s the neighborhood bully.
The neighborhood bully he just lives to survive
He’s criticized and condemned for being alive
He’s not supposed to fight back, he’s supposed to have thick skin
He’s supposed to lay down and die when his door is kicked in
He’s the neighborhood bully…
Well, he knocked out a lynch mob, he was criticized
Old women condemned him, said he should apologize
Then he destroyed a bomb factory, nobody was glad
The bombs were meant for him.
He was supposed to feel bad
He’s the neighborhood bully.
Well, the chances are against it, and the odds are slim
That he’ll live by the rules that the world makes for him‚
Cause there’s a noose at his neck and a gun at his back
And a license to kill him is given out to every maniac
He’s the neighborhood bully…
Well, he’s surrounded by pacifists who all want peace
They pray for it nightly that the bloodshed must cease
Now, they wouldn’t hurt a fly.
To hurt one they would weep
They lay and they wait for this bully to fall asleep
He’s the neighborhood bully“.

Rede zur GEAS-Reform der EU

Gegen die Menschenfeindlichkeit – für das Leben!

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen, 
das, was momentan in Europa und weltweit passiert, kann uns eigentlich nur sprachlos machen. Vergangenen Mittwoch sind 750 Menschen vor der griechischen Küste von Pylos gekentert, womöglich wegen eines Push-Backs der griechischen Küstenwache. Nur 104 Menschen konnten überleben. Schon lange folgt auf grausame Fälle wie diese kein öffentlicher Aufschrei mehr. Zu sehr hat man sich schon gewöhnt an die tödlichen Konsequenzen des europäischen Abschottungs-Systems, an das Mittelmeer als Massengrab der Festung Europa. Diejenigen, die gegen dieses mörderische Grenzregime ankämpfen, müssen mit Gegenwehr und Repression rechnen. So wurde die Solidaritätsdemo vorgestern in Athen von der Polizei brutal angegrefriffen.
Immer unverhohlener zeigt sich das rassistisch-tobende Gesicht der EU.
Während laut dem UNO-Hilfswerk für Menschen auf der Flucht gerade mehr Menschen denn je ihre Heimat verlassen müssen – letzten Schätzungen zufolge etwa 108 Millionen – versucht die  EU mit allen Mitteln jede Möglichkeit zur Flucht nach Europa auszuhebeln: Nach der neuen Asylreform sollen Menschen auf der Flucht, dort wo sie ankommen, d.h. direkt an den EU-Außengrenzen, für bis zu zwölf Wochen in Sammellagern eingepfercht werden können, während sie anhand von sogenannten Schnellverfahren „überprüft“ werden. In den meisten Fällen folgt darauf eine brutale Abschiebung – nicht mal jedem zweiten Asylantrag wird laut dem ZDF stattgegeben. Geflüchtete Menschen werden dazu gezwungen, zurück in Länder zu gehen, in denen Krieg, Hunger oder autoritäre Regime ihr Unwesen treiben.

Diese neue Brutalisierung des europäischen Grenzregimes fällt nicht zufällig mit allgegenwärtigen autoritären Rollbacks zusammen – in Europa und auch in Deutschland, das doch ach so viel aus seiner Geschichte als Land der Täter gelernt hat. 
So hat etwa die ultra-rechte Regierung Italiens Migrationsbekämpfung zu den Hauptthemen ihrer Arbeit erklärt. Dabei findet rhetorisch eine perfide Täter-Opfer Umkehr statt. Nach dem staatlich zugelassenen Massenmord vor der Küste von Cutro, in Kalabrien, empfing Meloni die Angehörigen der Opfer und erklärte diesen, es sei unverantwortlich, das Leben mit dem Versuch das Mittelmeer zu überqueren zu riskieren. Angekündigt wurde eine „Jagd bis zum Ende der Welt“ gegen sog. „Schleuser“. Während die Regierung tatsächlich mit Milizen und mafiösen Strukturen kooperiert, die Migrant*innen schikanieren und die Überfahrten kontrollieren, werden durch die Rhetorik der „Schleuserbekämpfung“ vor allem Menschen, die auf der Flucht sind und in der Not Aufgaben während der Überfahrt übernehmen, oder gar Helfer*innen angegriffen. Das Bedürfnis von Menschen und die Entscheidung, ihre Länder zu verlassen, wird von dieser Rhetorik mit Menschenhandel gleichgesetzt. Als sei dies nicht schon genug, soll auch das System von Inhaftierungszentren für Migrant*innen (cpr) ausgebaut und somit eine wichtige Form des humanitären Schutzes abgeschafft werden. Mitglieder der Regierung verbreiten dabei ganz offen die Verschwörungserzählung des „großen Austauschs“, selbst der Kultusminister schreibt Bücher darüber. Kein Wunder bei diesen Zuständen: andere feiern Mussolinis Marsch auf Rom, ein offener Faschist ist Senatspräsident, ein traditionalistischer, homophober Ultrakatholik mit Naziverbindungen ist Präsident der Abgeordnetenkammer. 

Auch in anderen europäischen Ländern wie in Griechenland nimmt der autoritäre Kurs zu, wird der Hass gegen Migrant*innen offen geschürt, werden die Stacheldrahtzäune der Festung Europa noch höher gezogen, werden immer mehr illegale gewaltsame Pushbacks eingesetzt, um Menschen an ihrer Bewegungsfreiheit zu hindern. Der griechische Premier Mitsotakis proklamierte im Januar stolz: „Griechenland steht mutig an der Front einer effektiven Verwaltung der Migrationsfrage.“ Neoliberale Logik und Kriegsrhetorik verbinden sich unverfroren in dieser Aussage. Die Abschottung der griechischen Grenze, die tatsächlich als Krieg gegen Migrant*innen ausgeführt wird, wird als  „Verwaltungsfrage“ verbucht. Wie ein Aktivist der identitäten Bewegung spricht Mitsotakis weiter: „Griechenland bildet die Grenze Europas, und es ist unsere Pflicht, diese zu schützen.“ Dazu dient der ausgedehnte Gebrauch illegaler Pushbacks auf See, der Einsatz von Gewalt durch Frontexagenten, der Ausbau des Zauns am Evros. Dieses Europa schützt nicht, sondern tötet!

Auch in Deutschland wird der autoritäre Rechtsruck sichtbarer, Rassismus erneut salonfähiger. Die CDU spricht nun ganz offen der AfD nach: Merz spurt rassitisch vor sich hin, während Spahn Menschenrechte für etwas überholtes hält. Grüne, SPD, FDP setzen Politiken zur Repression von Migrant*innen, die die AfD sich wünscht durch, wie nicht einmal Seehofer es tat. So bedeutet die Zustimmung zur GEAS-Reform die Umsetzung vieler seiner Vorhaben. Die aktuelle Innenministerin Faeser – die ihr Amt mit einem Memorandum begann, das ganz offen Selektion von Migrant*innen anhand wirtschaftlicher Nützlichkeit vorsah – redet die GEAS-Reform dabei schön. Das Auswärtige Amt hält die vom Bundestag beschlossenen Gelder für die zivile Seenotrettung zurück. Alle zwei Tage finden Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte statt; die Lage erinnert zunehmend an die frühen 90er Jahre – doch für die Regierung und einen guten Teil der Öffentlichkeit steht der Feind klar links: Antifaschist*innen, Aktivist*innen der Klimagerechtigkeitsbewegung, Antirassist*innen. So werden in Dresden Antifaschist*innen zu unverhältnismäßig langen Haftstraßen verurteilt und in Leipzig hebelt man mit allen juristischen Umwegen mal eben so die Versammlungsfreiheit aus. Die AfD erreicht dabei nie gesehene Hochs in Wahlumfragen.

Bereits 1997 schrieb Wolfgang Pohrt:
“Die Abschaffung des Asylrechts, die Verstärkung der Grenzen incl. Grenzschutz, […] die Errichtung rassistischer Barrieren im Landesinneren gegen „kriminelle Ausländer“ usw. hat  Hochkonjunktur. Jeder Mord, jeder Angriff auf Migrant*innen und Flüchtlinge, jedes faschistoide und rassistische Gesetz ist ein Sandsack mehr zur Verstärkung der rassistischen Deiche am Rande und im Innern Deutschlands. Es ist die Voraussetzung für das Deutschwerden der Einheimischen (nach dem Motto: geboren als Mensch, entwickelt zum Deutschen, geformt zum Vollstrecker)“.
Diese Worte könnten auch heute geschrieben worden sein. Es ist dieser institutionelle Rassismus, der Altagsrassismus, der Rassismus der „bürgerlichen Mitte“, der zu einen Zustrom zum rechten Rand führt, der Rassismus salonfähig macht und Nazis in Sicherheit wiegt. Es ist dieser Rassismus, der Menschen in Moria einpfercht und sterben lässt. Es ist dieser Rassismus, der nach Syrien abschiebt, Geflüchtete kriminalisiert und Nazis gewähren lässt. Es ist der Rassismus der „Mitte“ von CDU und SPD. Auf diese Parteien und auf den Staat ist kein Verlass in unserem Kampf gegen Rassismus und Faschismus, denn sie werden diese Probleme nicht lösen. 
Das ist auch kein Wunder: Denn Freiheit und Leben, selbst Überleben von Menschen sind keineswegs sicher, wenn sie in der Form von Menschenrechten garantiert werden sollen, die nur durch Nationalstaaten konkret werden.
Der kapitalistische Nationalstaat ist ein Ungeheuer: Er wird Menschen daran messen, wie nützlich sie gerade für die Steigerung der Profite und des Bruttoinlandprodukts sind. Ansonsten werden sie als Last wahrgenommen. Der „Gated Capitalism“, der immer mehr ausgebaut wird, soll die schrumpfenden Zonen der reicheren kapitalistischen Zonen nach außen hin abschotten, während Wettbewerb und Konkurrenz im Inneren toben. Nationalstaat bedeutet immer schon eine Aufteilung der Menschheit: Und zwar potentiell gegeneinander. Menschenrechte sind damit einem per se menschenverachtenden Monster anvertraut. Rechte Parteien und Diskurse drücken offen dieses Verständnis aus. Bürgerliche, liberale, sozialdemokratische, grüne Parteien setzen das ohnehin von selbst durch – mal rechtfertigen sie das als Einsicht in Sachzwänge, mal verschönen sie rhetorisch die offene Brutalität. Diese Welt konkurrierender, kapitalistischer Nationalstaaten ist ein infames Unding. Sie rechnet immer mit Ausschluss und Mord, sie macht Menschen überflüssig, verzichtbar. 

Brick by Brick, Wall by Wall – es ist diese ganze Ordnung, die weg muss. Die Forderungen nach Bewegungsfreiheit, nach Bleiberecht – und auch bereits nach humanitärem Schutz! – sind revolutionär. Nimmt man sie ernst, führen sie auf den Weg einer radikalen Gesellschaftveränderung. Lasst uns dies in die Hand nehmen – Feuer und Flamme der Festung Europa!

„…um des Lebendigen Willen“ Ein Jahr nach dem Angriff: Solidarität mit dem Widerstand in der Ukraine.

I.               Ein Jahr Terror
Ein Jahr ist nun seit dem Beginn der Aggression auf die Ukraine durch Putins Russland vergangen. Der Angriffskrieg zielt u.a. auf Zerstörung und Demütigung der ukrainischen Bevölkerung ab. Auch Massaker an Zivilist*innen oder die Destruktion der Infrastruktur und Energieversorgung in der Mitte des Winters, um so viel Leid und Not wie es nur geht zu erzeugen, gehören zum Repertoire dieser Aggression. Gleichzeitig werden tausende von zwangsrekrutierten russischen Bürger*innen, insbesondere aus marginalisierten Regionen und Nationalitäten, durch Russland verheizt. Ukrainer*innen fanden sich von der Situation selbst an die Front versetzt, um ihr Leben zu verteidigen. Direkt wurde klar: Es hängt davon ab, wie und mit welchen Mitteln die Ukrainer*innen sich verteidigen können, wie Leid verhindert oder zumindest gemindert wird und Putins Aggression aufgehalten werden kann. Das Sterben zu verhindern – darum geht es an erster Stelle, wenn man auf diesen Krieg schaut.

Diplomatische Verhandlungen waren bisher nie eine realistische Option

Von Seiten der russischen Staatsmedien wird der Ukraine immer wieder ein Abbruch der Verhandlungen vorgeworfen. An dieser Stelle muss daran erinnert werden, dass die ersten Bedingungen Russlands quasi eine Selbstauflösung ukrainischen Lebens bedeutet hätten. Die Verhandlungen des Istanbuler Kommuniqués wurden in einem Zeitraum abgebrochen, als die Kriegsverbrechen in den befreiten Gebieten wie Butcha oder Irpin an die Öffentlichkeit gelangten. Im Angesicht des Grauens der systematisch verübten Kriegsverbrechen gegen die ukrainische Zivilbevölkerung weiterhin auf die Verhandlungsbereitschaft Russlands zu pochen, entlarvt die menschenfeindliche Elemente des querfrontlerischen Pazifismus.
Ja, tatsächlich geht es in diesem Krieg auch um eine Alternative innerhalb des falschen Ganzen dieser Weltordnung: Soll sich die Ukraine als liberale Demokratie weiterentwickeln oder zum Einflussbereich des russischen Neo-Imperiums Putins als Vasallenstaat zurückkehren? So unbefriedigend die Alternative einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, so klar ist es, dass diese die bessere ist.
Die russische Aggression manövriert die Menschen in der Ukraine in eine existenzbedrohende Situation. Sie beraubt sie jeglicher Alternative und zwingt sie zunehmend dazu, zwischen Leben und Tod zu wählen – und im Angesicht der tausenden zivilen Todesopfer scheint es absurd, sich dieser Alternative zu entziehen.

„The dogma of some left is, whoever you are, no matter how brutal the dictatorship, if NATO is against you, there must be ultimately something not totally bad in you. NATO is the automatic opponent. And I find all this reasoning so stupid… .“

Zizek

II.              Putins Russland: Alle für einen – einer für alle?
Man muss dabei im Blick behalten, was Putins Russland ist, wie es funktioniert, warum sich dessen Form und Politik wesentlich unterscheiden von derer bürgerlicher Demokratien und was die Aggression damit zu tun hat: Russland lässt sich aktuell am besten als sogenannter „Racket-Staat“ beschreiben. Mit dem Zerfall der Sowjetunion etablierten sich nur schwach bürgerlich-liberale Verkehrsformen, während gleichzeitig kapitalistische Wirtschaft in Form eines enorm deregulierten freien Marktes Einzug hielt. Das hat nicht zuletzt mit dem Handeln westlicher Akteur*innen nach dem Zerfall der Sowjetunion zu tun. In diesem Zusammenhang bildeten sich untereinander konkurrierende, bandenähnliche Machtfraktionen, die die reguläre Wirtschaftstätigkeit bestimmten. Putin machte sich auf, die Konkurrenz unter den Banden zu koordinieren: Er selbst bändigt dabei einige Rackets mit den Mitteln des staatlichen Gewaltmonopols, verteilt die Beute und lässt die Rackets um seine Gunst und um den Einbau ihrer Interessen in staatliche Ziele streiten. Die dabei erzeugte Einheit ist eine dynamische und daher instabile. 

Dabei muss auch die ideologische Komponente des Krieges beleuchtet werden. Unter Putin hat sich ein nationalistisches bis völkisches Denken verbreitet. Russland habe zu einer alten Größe zurückzukehren. Diese Größe wird dabei mystisch aufgefasst und aufgeladen: Das russische Volk müsse seine Seele und seine ursprüngliche Mission unter den Völkern wiederfinden. Diese bestehe darin, sich gegen die Dekadenz des Westens zu stellen, die Verbindung mit einem ursprünglichen Ganzen hochzuhalten. Dabei wird ein Kampf gegen Individualismus, den Materialismus des Westens und dessen „Nihilismus“ herbeigeschworen in dem man sich gegen „Globalisten“, „Finanzeliten“, „Genderideologie“ etc. in Stellung zu bringen habe – Interessen, wie sie auch die Neue Rechte und Alt-Right-Bewegung formulieren. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Ideologie des Eurasismus, wie sie etwa Dugin (der sich offen an Begleit-Denker des Nationalsozialismus wie Schmitt und Heidegger anlehnt), der christliche Faschist Ivan Ilyin oder Prochanow vertreten.

Die Sowjetunion wird dabei partiell aufgewertet, dabei jedoch ausschließlich als Zeichen nationaler Größe und Macht gedeutet. Dadurch wird Putin nicht zufällig zum Modell und Verbündeten der Neuen Rechten weltweit: Putin erhebt sich gewissermaßen zur Gallionsfigur der neuen Internationalen der „Souveränisten“ in den Parlamenten und ihrer außerparlamentarischen Bewegungen. Die Ukraine wurde in diesem Zusammenhang in typisch völkisch-faschistischer Manier selbst als dekadent, künstlich, „unrussisch“ gekennzeichnet, zum Sinnbild zersetzender Kräfte gemacht und im Stile einer Täter-Opfer-Umkehr – mit deutlich antisemitischen Motiven – als Aggressor dargestellt.

Auch die orthodoxe Kirche gewann erneut an Bedeutung, wobei der orthodoxe Glaube als Ausdruck der „russischen Seele“ und als Vorbereitung zum Opfer für das Ganze abgerufen wird. Der Patriarch Kirill erklärt mittlerweile den russischen Angriffskrieg zum „Heiligen Krieg gegen den Satanismus“. Demokratie, LGBITQ+-Rechte, Zivilgesellschaft: All das wurde und wird als unrussisch und westlich markiert und bekämpft. Am brutalen und mörderischen Umgang mit der queeren Community, am von Frauen- und Queerfeindlichkeit durchsetzten russischen Alltag kristallisieren sich die lebensfeindlichen Auswirkungen dieser regressiven Welten und Ideologien.

III.            (Neo-)imperialistische Sehnsüchte
Dem entspricht auch Putins Außenpolitik: Sie dient einerseits zur Erzeugung innerer Einheit – in der Befriedigung der konkurrierenden Machtbanden, in der Stärkung nationaler Identität. Sie inszeniert sich darin auch als „Widerstand“ gegen eine künstlich potenzierte Aggression des Westens gegen Russland, die man abwehren müsse. Sie ist dem „Schmerz“ geschuldet, den alten Einfluss auf die ehemaligen Satellitenstaaten der Sowjetunion verloren zu haben. Damit ist auch klar, dass die Gefahr für Grenzstaaten Russlands, zu Vasallenstaaten gemacht zu werden, keine Phantasterei ist. Außerdem zielt Putins Außenpolitik auf die Destabilisierung der internationalen Politik ab. Damit ist sehr wohl der Angriff auf die Ukraine als Teil eines Kampfes gegen die bürgerlich-liberale Ordnung zu sehen: Im Namen von etwas deutlich Regressiverem.

IV.            Lebend die befreite Gesellschaft erreichen
Oft kommt aber der Einwand: Ist nicht auch die Ukraine auf eine Weise nationalistisch, die für progressive Menschen unerträglich sein sollte? Sterben hier nicht auch Menschen für einen Nationalstaat? Eine radikale Kritik an Staat und Nation muss von einer progressiven Linken natürlich immer geübt werden (auch an der Ukraine, bei gegebener Zeit). Eine solche Kritik gelingt aber ohnehin nur zusammen mit einer Kritik von Kapital und Weltmarkt, mit einer Kritik der Gesamtverhältnisse. Angesichts der Notlage der Menschen in der Ukraine direkt auf diese Ebene zu springen, verschiebt aber den Fokus und lenkt von dem, worum es gerade geht, ab: der Abwehr eines tödlichen Angriffskrieges. Die Sehnsucht nach der befreiten Gesellschaft lässt man damit zur Floskel verfallen und bringt dabei die hunderttausenden akut Betroffenen schlichtweg nicht weiter – weil sie in der schlimmen Realität eines Krieges keine konkreten Handlungsoptionen unterbreitet. Hoffnung stiftet hier das, was die ganz simple Aussicht auf Überleben fördert. Die befreite Gesellschaft ist auch der Fluchtpunkt unserer Kritik: Sie darf aber nicht zur Flucht in eine abstrakte und generische Kritik werden, wenn es gerade um ein bestimmtes Urteil geht – dann ruft man die Namen der Befreiung ins Leere und macht sie zu Worthülsen. Hier geht es um den konkreten Erhalt des Lebens von Menschen und die Absicherung der minimalsten Freiheiten.

Der Fall Ukraine macht auch deutlich, was ein bürgerlich-liberaler Nationalstaat in der Gesamtheit des Falschen sein kann. In einer Welt von Staaten und Nationen werden – leider! – bestimmte Rechte und Freiheiten nur durch den Staat garantiert; ein bürgerlicher Rechtsstaat bewahrt seine Bürger*innen immer noch vor einer unmittelbaren Subsumtion unter das Volkskollektiv und lässt sich selbst von den Einzelnen anfechten. Dass aber diese Freiheiten existieren, ist die Voraussetzung, um ihre Verbindung mit der Staatsform überhaupt erst zum Gegenstand einer emanzipatorischen Kritik machen zu können. Und die Vorbedingung für jede emanzipatorische Revolution. Gerade eine Orientierung an der befreiten Gesellschaft verlangt den Einsatz gegen die größere Regression, ohne in die Apologetik bürgerlicher Gesellschaft zu verfallen. Eben das gelingt aber wiederum nur, wenn man auch in der Lage ist, eine Kritik ums Ganze, eine Kritik der Formen kapitalistischer Vergesellschaftung einschließlich ihrer immanenten Antagonismen zu leisten: Wenn man dann auch in der Lage ist, den liberalen Staat aufs Schärfste der Kritik zu unterziehen, ohne daraus eine Pose zu machen. 

Wir betonen es gerne noch einmal: Hier geht es um Leben oder Tod, um Aggressor und Angegriffene, um Schutz oder Ausgeliefertsein. Eine eindeutige, solidarische Positionierung müsste eigentlich ganz leicht fallen.

Deshalb…

…stehen wir uneingeschränkt auf der Seite der Menschen in der Ukraine, hier und jetzt, mit den Mitteln, die im Gegebenen notwendig sind. Wir sehen die Notwendigkeit der Selbstverteidigung, mit der Leben und Freiheit geschützt wird. Nach Walter Benjamin ist das: „Gewalt um des Lebendigen Willen“.

…stehen wir gegen die russische Aggression, aber auch gegen all das, was Putins Russland repräsentiert: Die Möglichkeit der größeren Regression, des Schlimmeren als eine kapitalistisch-liberale Ordnung. Die durchaus blutige Horizontlosigkeit der liberalen Demokratien ist verteidigungswürdig angesichts des offenen Todeskultes aller Putins, Khameneis usw. Das Infame gehört zurückgedrängt und besiegt!

…sind leere Rufe nach Frieden und Verhandlungen zu denunzieren, da sie jeglichem Realitätsbezug entbehren: sie sind nichts als zynische Worte auf dem Rücken tausender Opfer. Denn wie anmaßend, gefährlich, realitätsfern und naiv ist die bürgerlich-pazifistische Forderung nach einem Einstellen von (über-)lebensnotwendiger Selbstverteidigung. Jene Forderungen sind oft genug nur identitäre Selbstvergewisserung und leere Schablonen. Hoffnung hingegen ist immer nur konkret, sie muss in der Geschichte getan werden.

…stehen wir auch gegen die Instrumentalisierung der Solidarität mit der Ukraine, um willkürliche Erhöhungen des Militäretats durchzusetzen und deutschen Militarismus zu schüren, oder um zurück zur Braunkohle zu kehren – die keine Unabhängigkeit vom russischen Gas verschafft. Diese Verflechtungen, bei gleichzeitigem Zögern in der Unterstützung der Ukraine, zeigen, dass es dem freiheitlichen Westen selten wirklich um Freiheit geht – zumindest nicht um die der anderen.

…stehen wir solidarisch mit der ukrainischen Linken, die es auch in einer freien Ukraine sehr schwierig haben wird – aber dort erst ihre Kämpfe austragen kann.

…sind wir solidarisch mit den russischen Dissident*innen und vielen Protestierenden, die jeden Tag Gefängnis und Repressionen riskieren – und in einigen Fällen um ihr Leben fürchten müssen. Wir sind solidarisch insbesondere mit Queers, Linken, Aktivist*innen, Journalist*innen, deren Leben und Handeln tagtäglich bedroht wird. Wir hoffen, dass sich in Russland eine progressive Zivilgesellschaft etablieren und der vollkommene Übergang zu einer völkischen, ultra-reaktionären Diktatur aufgehalten werden kann.

…bleiben wir dabei: Für die Befreiung der Ukrainer*innen! Für den Sieg gegen Putin!