Protest gegen „Corona Rebellen“ – Warum eigentlich?

Abstract: Der vorliegende Text stellt einen kleinen Teaser für die Veröffentlichung einer ausführlichen Broschüre in der kommenden Woche dar. In der Broschüre setzen wir uns verstärkt mit Verschwörungserzählungen in bürgerlichen Gesellschaften, (abstrakter) Herrschaft, Antisemitismus, Esoterik, Spiritualität und alternativer Heilkunde auseinander. Diese Themenschwerpunkte werden in Bezug zu verschiedenen Veröffentlichungen der sog. „Corona Rebellen Münster“ gesetzt. Im Folgenden wollen wir vorweg darlegen, warum diese verstärkte Auseinandersetzung richtig und wichtig ist.

Protest gegen „Corona Rebellen“ – Warum eigentlich?

Gute Frage – denn es könnte nahe liegen, dass es sich dabei um Zeitverschwendung handelt. Mit Menschen, die für Verschwörungsideologien offen sind und kritischer Vernunft abgesagt haben, ist kein echter Dialog möglich – er würde schlicht nichts bringen. Aber hier kommen wir bereits an den ersten banalen, aber dennoch wichtigen Punkt: Wir müssen vermeiden, dass man sich übermorgen ernsthaft in Parlamenten und Talkshows mit Anträgen von Impfgegner*innen, zur vermeintlichen Gefahr von 5G oder zur Q-Verschwörung beschäftigen muss.

Also: Besser früh anfangen als wieder zu spät.

Wir wissen aber auch, dass Verschwörungserzählungen sowie die damit verbundene Mobilisierung nie harmlos sind. Es beginnt mit ein paar selbstgebastelten „Theorien“ und die Begeisterung für selbsternannte „alternative Medien“. Es geht weiter mit ausgefeilten Verschwörungsideologien. Es endet bei Vernichtungsfantasien.

Außerdem zeigen die Corona-Demonstrationen ein gewisses Mobilisierungspotenzial. Dafür sind weniger die Themen wichtig als die Haltung, die entsteht: Zusammen „rebellieren“ unterschiedlichste Gruppen, die meinen, irgendwelche Machenschaften durchschaut zu haben; zusammen können sie ihren Hass gegen „die da oben“ und „die hinter allem“ zum Ausdruck bringen, sich als Auserwählte und gleichzeitig Opfer inszenieren und Aggressionsfantasien pflegen. Aber dann heißt es: „Wir sind ja nur für Grundrechte und Demokratie hier, wir stellen ja nur die Corona-Maßnahmen infrage!“

Für Grundrechte sind ja viele. Was meinen die damit? Wo sehen sie Grundrechte gefährdet? Sie meinen – mehr oder weniger nuanciert – dass die Corona-Maßnahmen der Anfang einer Aufhebung von Grundrechten und Demokratie bedeuten. Abgesehen davon, dass die Maßnahmen sich in der BRD in Grenzen gehalten haben, eventuell die Ausübung von Rechten (z.B. Versammlungsrecht) eingeschränkt, nicht aber aufgehoben wurden, könnte man fragen, auf welche Einschränkungen sie sich beziehen. Wo waren die Corona-Demonstrant*innen, als wegen der Pandemie das Grundrecht auf Asyl eingeschränkt wurde? Oder als es darum ging, dass Menschen auf den griechischen Inseln und in Sammelunterkünften mit der Pandemie klarkommen mussten? Wo waren sie, als es um die prekären Arbeitsverhältnisse von Menschen in der Pflege ging und die stärkere Belastung jener, die sich um Kinder kümmern müssen? Wo waren sie, als (Einzelhandels-)Verkäufer*innen plötzlich als selbstverständlich „systemrelevant“ galten, lange ohne Hygienemaßnahmen einer immensen Gefahr ausgeliefert waren und immer noch sind – wofür sie in ihren Arbeitsverträgen aber sicherlich nie unterschrieben haben? Wo waren sie, als migrantische Saisonarbeiter*innen oder Arbeiter*innen in der Fleischindustrie aus den Corona-Vorsichtsmaßnahmen rausgenommen wurden? Wo waren sie als Orbán – man darf vermuten, dass einige unter den Demonstrant*innen zu seinen Bewunderern zählen – tatsächlich den Ausnahmezustand in Ungarn ausgenutzt hat, um autokratische Forderungen durchzusetzen? All das war ihnen egal. Sie hatten nicht das Bedürfnis, zu diesen Themen eine Demonstration zu organisieren. Auf die Straße sind sie dann gegangen, als sie meinten, den Protest gegen die Corona-Maßnahmen mit einigen, ihren „Herzensthemen“, verbinden zu können. Das Thema „Grundrechte“ dient dabei den „Corona Rebellen“ als Platzhalter und Chiffre für eine grundlegend populistische Haltung. Es fühlen sich jene angesprochen, die schon sonst einiges „anders sehen“: Dass man in einer Meinungsdiktatur lebe; dass es Pläne gebe, um die Menschheit zu versklaven; dass die Regierungen von irgendwelchen Strippenzieher*innen kontrolliert seien; dass Deutschland nicht souverän, sondern eine von Alliierten versklavte GmbH sei.

Damit geht die Fantasie einer Erhebung des Volkes einher, das die Macht an sich reißt und sich von den lästigen demokratischen Vermittlungen befreit. Meistens verstehen sich Vertreter*innen solcher Positionen selbst als Inbegriff des „Volkes“.

Es ist der kleine, gekränkte Mensch, der sich aus seiner Kränkung heraus meldet und Macht für sich und seine Kumpanen will. Es sind Menschen, die eine unkritische, ideologische, zum Teil wahnhafte Meinung vertreten und nicht ertragen, dass ihre Position als das verstanden wird, was sie ist: Verschwörungsmythen.

Und um es nochmal klar zu stellen: Es geht keineswegs nur um Frieden und Grundrechte. Die, die sich hier treffen, sind offen für gänzlich unwissenschaftliche Methoden; sie stehen für mystisch-religiöse Heilkunde; sie sind bekennende Impfgegner*innen. Es ist selbstverständlich ein Problem, wenn man verlangt, dass ungeprüfte Theorien in Gesundheitsmaßnahmen eingehen. Es ist ein Problem, wenn sich die Annahme verbreitet, dass Meditation und vegane Ernährung das Immunsystem schützen und daraus das eigentlich wirksame Mittel gegen Krankheiten wie Covid-19 konstruiert wird. Es fängt bei den Erzählungen zu Bill Gates an, es endet damit, dass behauptet wird, dass Impfungen dazu dienen, Mikrochips zu implantieren, um Menschen zu kontrollieren oder die Weltbevölkerung zu regulieren. Dabei ist es ist dann kein Wunder, dass diese Demonstrationen anschlussfähig für eine extreme Rechte sind. Das zeigt sich anhand der bundesweit stattfindenden Demonstrationen, aber auch anhand des Telegram-Chats „Umbrella Corporation“ in Münster. Diese Anschlussfähigkeit ist möglich, weil es Kontinuitäten gibt. Es gibt Kontinuitäten hinsichtlich der Denkart: Wenn man sich gegenüber kritischer Vernunft verschließt, und – ja: dogmatisch – an Paratheorien, mystische Weltdeutungen und ähnliches glaubt (und diese sogar noch als mutige Kritik darstellt) ist man für alles offen.

Wenn man meint, das Grundkennzeichen von Wahrheit sei geheim, nicht unmittelbar nachvollziehbar und nur für erleuchtete „Wahrheitssucher“ zugänglich zu sein, dann ist man in einem Sektendenken gefangen. Es gibt Kontinuitäten hinsichtlich der Grundhaltung: Die „Corona Rebellen“ sind – wie bereits erwähnt – ein Prototyp der konformistischen Rebellion. Die Rebellion des kleinen Mannes, der gegen „die da oben“ wettert und meint, er sei Opfer von Machenschaften, die er nun erkannt hat; und der zusammen mit anderen jetzt aber stark wird und sich rächt – und darin der Welt Frieden bringt.

Gegen die konformistische Rebellion!

Tod der Reaktion – in Münster und überall!