#CovidAtWork – Schichtgeschichten zum solidarischen Shutdown

 
 

– Flo, 23, Aachen

 
Flo, 23, arbeitet in Aachen in einer Wohnstätte für Erwachsene mit geistiger Be_hinderung. Hier berichtet er nicht nur über seinen Arbeitsalltag, sondern ganz besonders auch über die Auswirkungen der Lohnarbeit im Schatten der Corona-Wirtschaft auf seine Klient*innen.
 
 
 
 
 
 
 
 
>>Als Teilzeitkraft in einer Wohnstätte für Erwachsene mit geistiger Behinderung bin auch ich einer derjenigen, der trotz aller Maßnahmen auch schon im ersten Lockdown im letzten Jahr als „systemrelevant“ eingestuft und somit weiter zur Arbeit geschickt wurde. Selbstverständlich sind die Klient*innen auch oder besonders während dieser Pandemie auf die Unterstützung der Mitarbeitenden angewiesen; wir müssen neben den üblichen Unterstützungsangeboten wie Körperpflege, Freizeitbegleitung, der Begleitung von Mahlzeiten etc. auch noch einiges an Mehrarbeit leisten.Dazu gehören Dinge wie besondere hygienische Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, alles ständig sauber zu halten, den Besuch zu regulieren, Schnelltests durchzuführen und bei Bedarf Quarantänemaßnahmen zu gewährleisten.
 

 
Wir sind dafür verantwortlich, den Klient*innen diese schwierige Situation begreiflich zu machen, ihnen zu erklären, warum dieses oder jenes Freizeitangebot seit Monaten ausfällt, wieso wir nicht zusammen in die Kneipe gehen dürfen und warum sie seit Monaten keinen wirklichen Kontakt zu Menschen außerhalb der Wohnstätte haben.
 
Zwar sind Besuche weiterhin möglich – dennoch aber nur unter strengen Hygieneregeln. Diese sind absolut notwendig, um den Klient*innen weiterhin etwas Kontakt zu ihren Familien & Freund*innen ermöglichen zu können, sie sind aber auch der Grund, weshalb ebendieser Kontakt in den meisten Fällen sehr unbefriedigend zu sein scheint. All diese Maßnahmen, die fehlende Tagesstruktur, die Ungewissheit und der fehlende Kontakt zur Welt außerhalb der Wohnstätte sind psychisch wie auch physisch eine unfassbare Belastung für unsere Klient*innen.
 
Es kommt immer häufiger vor, dass Menschen im Autismus-Spektrum in psychische Krisen geraten, und dadurch selbst- oder fremdgefährdendes Verhalten entwickeln. Manche Klient*innen zeigen auch immer häufiger körperliche Reaktionen auf den Stress, andere isolieren sich immer weiter selbst und vereinsamen völlig. All diese besonderen Entwicklungen müssen wir als Mitarbeitende jetzt auffangen. Ohne mehr Personal, ohne mehr Gehalt. Eine Corona-Einmalzahlung haben wir bekommen, bei mir waren das etwas über 200 Euro. 200 Euro für nunmehr fast ein Jahr extra Belastung durch die Arbeit. Nicht nur während der Arbeitszeit, sondern auch danach und davor ist die psychische und teils auch physische Belastung unbestreitbar größer geworden.
 
Immer häufiger gehe ich nach der Arbeit mit einem unguten Gefühl ins Bett, immer seltener gelingt es mir, die Probleme von der Arbeit nicht mit heim zu nehmen. All diese Maßnahmen sind zu unserem Schutz und dem unserer Klient*innen da. Dieser Schutz wäre aber viel einfacher zu gewährleisten, wenn die Klient*innen nicht weiterhin gezwungen wären, zur Arbeit in den Werkstätten zu gehen. Für große Unternehmen wie Süßwarenhersteller oder Kosmetikfirmen wird dort produziert. Mit mehreren Hundert Menschen in einem Gebäude. Mit vollkommen unzureichenden Hygienemaßnahmen und für durchschnittlich 180 Euro Lohn im Monat. Auch ohne eine Pandemie zeigen diese Werkstätten das Scheitern von Inklusion auf, aktuell wird es aber deutlicher denn je.
 
Menschen, die teilweise kognitiv kaum in der Lage sind, die Ernsthaftigkeit der aktuellen Situation zu verstehen, sind weiterhin gezwungen arbeiten zu gehen, während ihnen sämtliche Freizeitangebote vorenthalten werden. Und all das passiert, während täglich mehrere Hundert Menschen einem tödlichen Virus zum Opfer fallen und ein großer Teil, der in den Werkstätten Beschäftigten selbst zur Risikogruppe gehört. Dieses enorme Risiko, dem die Menschen wissentlich ausgesetzt werden, kann nur minimiert werden, wenn die Werkstätten geschlossen werden. Würde man die Wohnstätten mit dem Betreuungspersonal der Werkstätten unterstützen, wäre ohne Mehrarbeit auch weiterhin eine adäquate Betreuung und Tagesstruktur für die Klient*innen realisierbar.
 
Der Anspruch an unsere Arbeit besteht im Wesentlichen darin, Menschen mit Behinderung dabei zu unterstützen, ihr Leben nach ihren Interessen zu gestalten. Das geht nur ohne ein Virus, das weiterhin Menschenleben fordert. Deshalb kann auch für uns die einzige Forderung heißen, dass die Werkstätten, aber auch alle anderen Betriebe, Fabriken und Büros geschlossen werden und wir die Marke von Null Neuinfektionen erreichen.<<
 
Wir bedanken uns bei Flo, dass wir durch das Teilen der Erfahrungen einen Einblick in die Lebensrealität der Lohnarbeitenden in den betreffenden Wohnheimen und Werkstätten bekommen.
 
Hier geht es zur Kampagne #ZeroCovid.
 
#zerocovid #CovidAtWork #Schichtgeschichten #SolidarischerShutdown #NoCOVID19