Solidarität mit den Protesten im Iran

„Wir haben nicht revoltiert, um zurückzukehren. 
Freiheit ist weder westlich noch östlich, Freiheit ist international. 
Die Freiheit der Gesellschaft ist ohne die Freiheit der Frauen nicht möglich!“
– Iranische Frauen am 8. März 1979
 
Im Iran ist Historisches in Gang. Proteste gegen das Regime der „Islamischen Republik“ gab es immer wieder. Immer wieder wurden sie mit Gewalt unterdrückt.
Nun scheinen die Dinge anders zu laufen. Die Proteste halten an. Immer mehr Menschen trauen sich, die Macht der Mullahs und ihrer Schergen offen in Frage zu stellen. Zentrale Symbole des Regimes werden angegriffen: Die Zwangsverschleierung wird aufgebrochen, das Kontrollsystem der Sittenpolizei in Frage gestellt, die Bilder der Anführer zerstört und verbrannt. Auch die Forderungen sind überaus klar: Es geht um das Ende der „Islamischen Republik“ der Mullahs, nicht um einzelne Verbesserungen. 
 
Es ist eine Revolution – hoffentlich eine siegreiche!
 

Eine feministische Revolution
 
Es ist eine Revolution, deren Kern und Anfangsfunken feministisch ist. Ein System, das seit mehr als 40 Jahren eine ganze Bevölkerung unterdrückt und trotz artikulierter Opposition im Untergrund und im Ausland nie ernsthaft ins Schwanken gekommen ist, hat nun gute Chancen zu Fall zu kommen, weil sich Frauen zur Wehr gesetzt haben – Nach dem staatlichen Femizid an der Kurdin Jina Amini.
Patriarchat zeitigt seine Konsequenzen überall auf der Welt. Im Iran verbindet sich patriarchale Unterdrückung aber auf eine spezifische Weise mit dem islamistischen Herrschaftssystems. Die Geschlechterungleichheit ist eine Hauptstütze des Regimes: So war der Zwangs-Hijab ein Symbol der „Islamischen Revolution“ 1979 und dient im Alltag zur Kontrolle des Lebens und der Körper der Frauen. Mit dem Zwangshijab wird Geschlechterbinarität gefestigt, die Rolle der Frau und das Bild von Familie definiert, eine klare Geschlechterhierarchisierung gefestigt.  Frauen werden dabei als eine Gefahr behandelt, die die Gesellschaft destabilisieren könnte. Das war den Frauen bewusst, die am 8. März 1979 gegen die Zwangsverschleierung auf die Straße gingen. Ihre Parole: „Wir haben nicht revoltiert, um zurückzukehren. Freiheit ist weder westlich noch östlich, Freiheit ist international. Die Freiheit der Gesellschaft ist ohne die Freiheit der Frauen nicht möglich!“
Die Rebellion gegen den Zwangshijab ist daher in einem eine Rebellion gegen patriarchale Unterdrückung, gegen religiöse fundamentalistisch-islamische Unterdrückung, aber auch gegen das Herrschaftssystem des iranischen Regimes als solches. Deshalb trifft die Verfolgung aktuell besonders auch Frauen. Deshalb ist der Ruf dieser Revolution, der für alle gilt: „Frau, Leben, Freiheit“!
Übrigens – es ist bemerkenswert, dass es nicht nur im Iran, wo Misogyne Gewalt und Unterdrückung Staatsräson sind –  sondern auch an vielen Orten wo gerade ein antifeministischer Rollback stattfindet (wie in Polen und den USA, in Italien, aber auch in der Antikriegs-Bewegung in Russland), allen voran Frauen und Feminist*innen sind, die die Proteste anführen. Es sind die globalen feministischen Bewegungen, die das Bestehende ins Wanken bringen und die Sehnsucht nach einer anderen, einer befreiten Gesellschaft entflammen lassen.
Bloß Freiheitsrechte?
In dieser Revolution geht es um Grundlegendes: Selbstbestimmung, Freiheit, Rechte, demokratische politische Formen, Legalität. Um das Ende einer faschistisch-religiösen Herrschaft. Das ist historisch nicht selbstverständlich!
 
Wenn man bedenkt, wie wichtig das ist, was im Iran passiert, ist es doch mehr als verwunderlich, wie wenig organisierte Solidarität stattgefunden hat
Die Situation im Iran als bedeutungslos für den „revolutionären Kampf“ oder Ähnliches zu deklarieren – oder gar als „westlich“ zu markieren – und deshalb Solidarität zu kurz kommen zu lassen, ist leider so falsch wie verbreitet. 
Wir wollen in diesem Zusammenhang hier als linke Gruppe auch eine Selbstkritik aussprechen: Wir müssen uns als Linke immer wieder daran erinnern – wie eben gehört -, dass Freiheit und Rechte weder westlich noch östlich sind, sondern universal. Und sie sind universal zu erkämpfen und konkret werden zu lassen. Wer für die befreite Gesellschaft kämpft, will genau die radikale Realisierung dieser Freiheit.
Gleichzeitig sieht man ganz deutlich, wie wenig ernst es „der freie Westen“ und die EU mit den Menschenrechten, auf die sie sich gerne beziehen, meinen. Wie wenig ernst die sich selbst so nennende „feministische Außenpolitik“ es mit Frauen und Queers meint. Die einzige Konsequenz ist bisher das Verbot der Aktivitäten der Sittenpolizei. Die Gewalt des Regimes wird auf die eines ausführenden Apparate reduziert. Konkret heißt das: Es wurden Sanktionen auf 11 Menschen auferlegt! Währenddessen wird weiterhin mit dem Iran gehandelt und Menschen werden in den Iran abgeschoben. 
Wenn auch diese Proteste unterdrückt werden sollten, dann wird es auch mit dem ständigen Paktieren der anderen Länder mit dem iranischen Regime zu tun haben. 
 
Iraner*innen fordern währenddessen glasklar: Die Schließung der Botschaften; die Schließung der iranischen Stützpunkte in Deutschland, wie das IZH in Hamburg; das Konsequente Vorgehen gegen iranische Agenten. Das Ende der Handelsbeziehungen mit den Mullahs. 
DIESEN FORDERUNGEN SCHLIESSEN WIR UNS SOLIDARISCH AN!
 
 
Das Spezifische des Herrschaftsssystem der „Islamischen Republik Iran“
 
Letztendlich geht es um das Ende des Regimes – nicht um Forderungen. Denn es ist klar: Das Ende des iranischen Regimes wäre für so viele eine Befreiung. Das hat mit der spezifischen Herrschaftsform der „Islamischen Republik“ zu tun, die keine „bloße“ autoritäre Diktatur ist. 
Die Islamische Republik organisiert die Gesellschaft durch ein kompliziertes System von institutionalisierten Banden und Rackets, die sich die Macht und Ressourcen aufteilen und zum Teil untereinander konkurrieren. Unter diesen stechen die Revolutionswächter („Pasdaran“) hervor, die militärische Eliteeinheit, die das Atomprogramm kontrolliert aber auch eine wichtige Rolle in der Wirtschaft und insbesondere den Außenhandel beeinflussen.
Das heißt auch: Es gibt kein allgemeines Recht, das der einzelne Akteurgarantiert. Man muss sich entweder einem der Apparaten zuordnen und unterordnen – oder ist deren Willkür ausgesetzt. Es darf offiziell keine Zivilgesellschaft und keine freie Öffentlichkeit geben. Auch deshalb sind Proteste, in denen Menschen eine neue Präsenz für sich im öffentlichen Raum erkämpfen, so wichtig. 
Die Einheit der konkurrierenden Apparate wird durch eine Aufteilung der Einflussbereiche bewahrt und durch eine imperiale Regionalpolitik geboostert. Letzteres macht den Iran der Mullahs zum zentralen Destabilisierungsfaktor des nahen Osten: Ob im Irak, in Syrien oder Libanon, im Yemen oder in den palästinensischen Gebieten: der Iran mischt mit. 
Ideologisch wird diese Einheit in einer mystischen Auffassung einer höheren, spirituellen Gemeinschaft und einer endzeitlichen Mission des Irans erzeugt. Eines der zentralen Mittel, um diese Einheit zu realisieren, ist der staatliche verordnete Antisemitismus, als Kampf gegen das Gemeinschaft Zersetzende und Harmonie Störende, das im Staat Israel identifiziert wird. Deshalb wenden sich auch viele der Protestierenden nun gegen die aggresive antiisraelische Politik des Regimes und gegen dessen Hegemonieansprüche im Nahen Osten.
 
Es ist grandios, dass die Proteste unterschiedliche Sektoren der iranischen Gesellschaft erreicht haben. Kurz: Es geht um alles!
Die ersten Proteste entfalteten sich ausgehend von den kurdischen Städten: Denn das iransiche Regime unterdrückt Minderheiten – insbesondere die progressiven Kurd*innen. Nun rufen nicht nur Kurd*innen: „Kurdistan, Auge und Licht des Iran“. 
Auch andere Minderheiten, wie Araber*innen und Belutsch*innen werden stark unterdrückt, und setzen sich zur Wehr.
Streiks und Proteste finden von Arbeiter*innen stattEs ist auch eine Klassenfrage!
Die Proteste haben die Universitäten und Schulen erreicht und Student*innen, Dozent*innen, Schüler*innen und Lehrer*innen in Bewegung gesetzt. Gerade die Proteste an den Unis sind sehr bedeutsam – und erfahren die krasseste Repression. Es ist eine Frage der Freiheit zur Selbstbildung, der Befreiung von Propaganda und Ideologie. 
 
Was sicher ist: Das Regime der Mullahs muss weg! Was kommen wird, wissen wir nicht. Die Menschen im Iran, die Frauen, die Kurd*innen und alle Minderheiten, die jungen Generationen: Sie sollen ihre Geschichte machen können. Wir hoffen, dass sich progressive Kräfte durchsetzen. Wir wissen, dass es sich auch nur für ein Stück Freiheit mehr, für ein Stück Angst weniger, gelohnt haben wird zu Kämpfen und die Köpfe zu erheben. 
Wir bewundern die Kraft der Freund*innen im Iran! Wir trauern um jede*, die in diesem Kampf ihr Leben verloren hat, wir stehen an der Seite derer, die Haft, Folter, Vergewaltigung erleiden mussten. Und wir danken, den Frauen im Iran, die das Herz dieser Revolution sind.
Dass Leben sei! Dass Freiheit sei!