Schockiert haben wir miterleben müssen, wie die Gruppierung „Palästina Antikolonial“ am Samstag den 22.8.2020 die Veranstaltung in Gedenken der Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau zur Selbstdarstellung und zur perfiden antizionistischen Propaganda instrumentalisierte.
Die Gruppe Palästina-Antikolonial und ihre Verbündeten haben in pietätsloser Weise gedacht, das Gedenken der Opfer des Massakers von Hanau sei offenbar die perfekte Gelegenheit, um derMünsteraner Linken einige Dinge zu erklären: Dass das oberste Anliegen einer antirassistischen Bewegung, gar die Wahrheit des Antirassismus schlechthin, der Kampf gegen Israel sei; dass sich Rassismus an der Leiderfahrung von Palästinenser*innen quasi prototypisch definiere, und dass diese selbstverständlich als einzige Ursache Israel habe; dass Antizionismus folgenderweise Linkes Essential sei. Zu diesen Zwecken und damit zu einer Verzerrung antirassistischer Kämpfe und Diskurse, diente ihr Auftritt.
Schon durch das Zeigen viele expliziter Symbole (Transparente, Kufiyas, Schilder, Fahnen) versuchte die Gruppe das Bild der Kundgebung, so zu prägen, dass man Samstag zeitweise hättemeinen können, auf einer Free Palestine Demo gelandet zu sein.
Nach dem bekannten Muster, stellte sich die Gruppe von Anbeginn als Opfer eines Versuches dar, sie zum Schweigen zu bringen. “Palestine will not be silenced” stand auf einem riesengroßen gedruckten Banner, während sich die Gruppe erdreistete, im einzigen externen Redebeitrag auf der Kundgebung einen realen Bezug zum Thema der Kundgebung auszulassen.
Darin sind sie kaum von anderen regressiven Strömungen zu unterscheiden, die die Kritik ihrer Argumente aufgrund ihrer Falschheit gar als Versuch darstellen, sie zum Schweigen zu bringen, während sie sich sehr wohl Raum und Plattformen en masse nehmen können und bekommen, um ihre Thesen zu verbreiten. Diese Perspektive ist wiederum symptomatisch sowohl für eine Weise, die Lage der Palästinenser*innen darzustellen (nicht Opfer der Politik anderer arabischer Staaten, die sie zu lebenden Erpressungsmittel Gegen Israel gemacht haben, sondern: Opfer der Existenz Israels), als auch eines Teils der deutschen Linken, die sich von Diffamierungen und Denunziationen durch “Antideutsche” mittels des “Antisemitismusvorwurfs” als Opfer wähnen.
Entsprechend erfolgte auch der Redebeitrag. Eine Aufzählung der Namen, ein kurzer Umriss über einen schwammigen Rassismusbegriff und schon folgt eine ausgiebige Erklärung, warum Palästinenser*innen als Opfergruppe hervorgehoben werden müssten. Niemandem wird das Recht abgesprochen werden, seinen Diskriminierungserfahrungen Verhör zu verschaffen. Doch imFolgenden wurde klar, worum es in ihren Augen eigentlich heute gehen müsse: Um die „imperialistische, rassistische und neokoloniale Allianz“ Deutschlands mit Israel. Was sonst?! Diese sei die Grundlage der Unterdrückung der Palästinenser*innen und hätte somit nichts zu tun mit einer allgemein kapitalistisch eingerichteten Welt und punktuell der Tatsache, dass auf dem Rücken der Palästinenser*innen der Hass mehrer arabischer Länder und der palästinensischen Führung ausgetragen wird.
Besonders problematisch ist die Anbindung von Momenten der Kapitalismus- und Staatskritik mit einer prominenten Kritik Israels. Dies entspricht allerdings der alten Gewohnheit eines guten Teils der Linken: einer Kritik von Kapital und noch mehr von Staat kaum fähig zu sein, diese dafür virulent und stellvertretend an Israel durch zu erxerzieren. Wie immer sind es die nur oberflächlich und verkürzt begriffenen Gesamtverhältnisse, die zu Fixierung und Projektion führen. Eben genau das, was den Kern von Antisemitismus darstellt (Mehr dazu in unserem Text zu Antisemitismus und Israel: Hier). Damit werden die Ansätze einer notwendigen materialistischen Rassismuskritik, die Verwertungzusammenhänge und globale Verhältnisse im Blick behält, für eine bestimmte anti-israelische Aggression zweckentfremdet.
Einen Bezug zum Massaker von Hanau hätte die Thematisierung antimuslimischen Hasses und Ressentiments vielleicht noch sein können: In der Tat gibt es einen spezifischen Rassismus, der Menschen trifft, die als Muslim*innen gelesen werden und antimuslimische Erzählungen gehören (übrigens nicht selten direkt mit antisemitischen Motiven gepaart) zum Standardrepertoire der “neuen Rechten” und zum Vehikel der Verbreitung rechter Anliegen im öffentlichen Diskurs. Das steht außer Frage. Doch auch dieses Thema wird in Windeseile verdreht und verzweckt. Die Thematisierung von antimuslimischem Rassismus zielt nicht darauf ab, auf die spezifische Bedrohung für Muslim*innen oder als solche Gelesene aufmerksam zu machen, sondern liefert die Vorlage um das Handeln israelischer Sicherheitsbehörden in einem Satz mit dem Massaker in Hanau zu nennen.
Die an vielen Punkten notwendige Kritik islamistischer Rechter aber auch regressiver Momente von Religion und Tradition, die zur Grundarbeit einer emanzipatorischen Linken gehört, wird ohne Weiteres als antimuslimischer Rassismus denunziert. Und so arbeitet sich der Redebeitrag sehr schnell an einem wieder fiktiven Objekt des Hasses, “den Antideutschen” ab. Hier geht es nicht um einige tatsächliche Entgleisungen in der deutschen Linken, sondern primär um das identitäre Anliegen den fiktiven Feind, gegen den sich die eigene Identitaet aufbaut, zu konstruieren.
Wichtig zu bemerken: Es geht in diesem Zusammenhang nicht nur um die Gruppe Palästina Antikolonial, sondern auch um einen relevanten Teil junger Aktivist*innen aus dem Bereich der Organisationen der Linkspartei, die mit/als „Palaestina Antikolonial“ aufgetreten sind und damit unmissverständlich zu verstehen gegeben haben, worum es geht: um Hegemoniekämpfe in der (radikalen) Linken – für die eine Instrumentalisierung der Opfer von Hanau nicht zu schade war.
Nicht erst die Rede (als einzige Redner*innen neben den Organisator*innen der Demo!), sondern bereits die Präsenz und die Umtriebe der Gruppe, die durch die Verbreitung klarer antisemitischer Muster in ihren vergangenen Aufrufen [1] und auf der Kundgebung „Nein zur Annexion“ aufgefallen ist [2], müssen wir aufs Schärfste kritisieren.
All das ist in unseren Augen nicht nur pietätlos, sondern in höchstem Maße alarmierend.
Eine Linke die ernsthaft auch die Bekämpfung von Antisemitismus zu ihrer Praxis zählt, kann sich nicht mit Gruppierungen einlassen, die einen Teil dieser Arbeit als „antideutsche Fixierung“ herabwerten will oder selbst Antisemitismus aktiv reproduziert und versucht in der (radikalen) Linken zu etablieren.
Eine Linke die sich über die Priorität der Unterstützung und Entfaltung antirassistischer Kämpfe bewusst ist, darf nicht ertragen, dass diese zur Bühne für Versuche der identitären Revanche einer regressiven Linken gemacht werden (Dass diese Gefahr wiederum real sei zeigen z.B. die Vorfälle in Wien, [3]).
Es muss im Gegenteil Anliegen einer antirassistischen Bewegung sein, den Kampf gegen Antisemitismus nicht zu vernachlässigen oder gar zu erschweren. Dazu gehören auch eine Aufklärungsarbeit in den eigenen Reihen und klare Entscheidungen.
Spätestens jetzt müssten allen die Intention, die Inhalte, die Aufstellung und das unsolidarische Vorgehen der Gruppe „Palaestina Antikolonial“ in Münster bekannt sein: Sie können nicht als Bündnispartner*innen für emanzipatorische Politik betrachtet werden.
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[2] https://eklatmuenster.blackblogs.org/2020/07/24/day-in-day-out-gegen-antizionismus-und-die-verzweckung-antirassistischer-anliegen/; https://eklatmuenster.blackblogs.org/2019/08/15/nachbetrachtung-zur-kundgebung-nein-zur-annexion/
[3] https://autonome-antifa.net/index.php/2020/08/24/konsequent-und-entschlossen-gegen-jeden-antisemitismus/; https://www.instagram.com/p/CESgtqZl8hx/
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